Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 59> 


Vom Sinn der Schwermut

I.
Die Schwermut ist etwas zu Schmerzliches, und sie reicht zu tief in die Wurzeln unseres menschlichen Daseins hinab, als daß wir sie den Psychiatern überlassen dürften.
Wenn wir also hier nach ihrem Sinn fragen, so ist damit auch schon gesagt, daß es uns nicht um eine psychologische oder psychiatrische, sondern um eine geistige Angelegenheit geht. Wir glauben, es geht um etwas, was mit den Tiefen unseres Menschentums zusammenhängt.
Damit empfunden werde, worum es sich handelt, sollen einige Sätze aus Schriften und Aufzeichnungen eines Mannes vorausgehen, der selbst tief in der Schwermut gestanden hat; in dem sie nicht nur eine Macht war, die in sein Denken und Handeln hineinwirkte; ein innerer Ton, der durch seine ganze Existenz hindurchschwang - sondern der sie über all das hinaus mit Bewußtsein auf sich genommen hat, als Ausgangspunkt für seine sittliche Aufgabe, als Ebene für sein religiöses Ringen: ich meine Sören Kierkegaard. Die folgenden Sätze sollen die Spannweite abstecken und die inneren Dimensionen deutlich werden lassen, in denen dieses vielleicht schmerzlichste menschliche Phänomen sich bewegt.
"Das Furchtbare ist, wenn eines Menschen Bewußtsein von Kindheit auf einen Druck erhalten hat, den alle Elastizität der Seele, alle Energie der Freiheit nicht heben kann. Sorge im Leben kann das Bewußtsein wohl bedrücken, aber tritt die Sorge erst in einem reiferen Alter ein, bekommt sie nicht Zeit, diese Naturgestalt anzunehmen; sie wird ein historisches Moment, nicht ein Etwas, das gleichsam über das Bewusstsein

 < Seite 59>