Romano Guardini Online Konkordanz
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Nahe läge es, ihn in der Deutung zu erblicken, die Kierkegaard selbst seinem Denken gegeben hat in der 1859 erschienenen Schrift: Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller. Da nimmt der große "Schriftsteller" sein Werk, genauer seine "Wirksamkeit", und macht sie zum Stoff für eine neue Schöpfung, für eine Deutung seines Lebens aus dem Gesichtspunkt: "Wie wird man ein Christ?" Und wenn auch die real-historische Betrachtung einwenden wird, diese oder jene Schrift sei ursprünglich anders gemeint gewesen, als die zurückblickende Deutung es bestimmt - über der Ebene des historisch so und so Gewordenen steht doch nach dieser zweiten Schöpfung die Gesamtheit des aus Kierkegaards definitivem Wollen neu zu Verstehenden und fordert den Leser auf, diese Wiederschöpfung nachzuvollziehen. Allein uns hilft sie hier nicht, denn sie stellt ein noch komplizierteres Ganzes hin, als es die einfache Reihenfolge der Schriften sein würde.
Ein anderer Weg scheint weiter zu führen, die Frage: Wo liegt die innerste menschliche Spannung, aus der die Gesamtbewegung des Kierkegaardschen Denkens hervorgeht? Danach zu fragen, ist nun allerdings gewagt. Ein derart vielfältiges Dasein wie das Kierkegaards hat wahrscheinlich nicht nur einen einzigen Ausgangspunkt. Wird der tiefste oder maßgebendste getroffen werden? Noch gewichtiger wäre der Einwand, es sei von vornherein verfehlt, einen psychologisch-gedanklichen Ausgangspunkt bei einem Manne zu suchen, für den das überpsychologische, ja übernatürliche Faktum des Christlichen, der Offenbarung bestimmend ist. Hat er doch immer wieder und mit allem Nachdruck betont, er habe nur ein Problem, nämlich die Frage: "Wie wird man ein Christ?" - Aber schon in der Weise, wie diese Frage angesetzt ist, liegt der lebendige Mensch Kierkegaard.
Auch auf die Gefahr subjektiver Deutung hin wird also die Frage gestellt werden dürfen.
Was hier folgt, ist demnach keine systematische Analyse der Gestalt oder der Gedankenwelt Kierkegaards, sondern ein Versuch, den Ursprungspunkt jenes geistigen Vorganges aufzufinden, der sein Werk trägt.


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