Romano Guardini Online Konkordanz
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Eingeschlossen mit dir in diesem sonnigen Zauber-
Gürtel, o Einsamkeit, fühlt ich und dachte nur dich!

II.
Das Gedicht, *1 aus dem Jahre 1842 stammend, ist in Distichen geschrieben, jener Form, die eine so eigentümliche Bewegung in sich trägt. Die erste der jeweils zwei Zeilen lädt frei aus; die zweite zieht sich zusammen und schafft einen leisen Stillstand. Die nächste Zeile schwingt wieder vor, und die folgende holt aufs neue zurück. Für einen Augenblick scheint alles etwas künstlich; bald vergißt man aber das Gesetz, und die Form wird, was sie sein soll: Weise von Leben. Das Atmen geht in einem steten Rhythmus; dieser wird aber nicht als solcher gewußt, sondern durchwirkt alles mit still formender Kraft. Ähnlich ist das Gesetz des Distichons als solches dem Bewußtsein bald entschwunden; es teilt aber jedem Gesagten seine leise Musikalität mit.
Was es in einfacher Form tut, vollbringt in sehr anspruchsvoller die Terzine. Man wundert sich immer wieder, wie es Dante möglich war, in ihrer schwierigen Ordnung den gewaltigen Gang seiner Göttlichen Komödie geschehen zu lassen. Im Unterschied zur aufdringlichen Stanze hört man sie nach kurzer Eingewöhnung als solche nicht mehr; sie bildet aber den Pulsschlag der großen Wanderung. Das Distichon hat kleineres Maß. Es bestimmt die Bewegung idyllischer und elegischer Dichtung und war Mörike besonders vertraut. Bei ihm gewinnt es den Charakter intensiver, aber gehaltener Menschlichkeit.
Von solchen Distichen enthält das Gedicht fünfzehn; der Interpret hat sich veranlaßt gefühlt, sie zu zählen. Das Ganze besteht nämlich aus zwei Teilen. Doch sind diese nicht in der Form von Strophen gegeneinander abgesetzt, sondern die Gliederung ist ganz fein; nur ein Gedankenstrich vor dem achten Hexameter
*1 Wir bringen die Texte nach der Ausgabe: Mörike, Werke, herausgegeben von H. G. Göpfert, Verlag Hanser München 1954.

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