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Rippe hinzieht, ist jener des Mundes ähnlich, wenn seine Lippen aufeinanderliegen; so erscheint jedes Blatt wie der Mund des Windes, der durch den Lorbeerbusch weht, und „lächelnd“ die Lippenränder kräuselt. Das stand in der Glut der Sonne da und duftete, und war so, daß er begriff, wie eine Daphne in seine Gestalt verwandelt worden war, und warum man zum Zeichen höchsten Ruhmes aus seinen Blättern den Kranz geflochten hatte ... Wenn schon Leben sein soll – warum genügt es dann nicht, daß der Lorbeer lebt, der so klar und edel ist? Warum dann die Seltsamkeit des menschlichen Lebens? Wozu ein Wesen, das „Menschliches muß“ und „Schicksal“ hat – welches Schicksal macht, daß man vor ihm flieht, weil es schmerzt, und zugleich sich nach ihm sehnt, weil es eben das Menschliche ist? Oh, nicht, weil Glück ist, dieser voreilige Vorteil eines nahen Verlusts. Nicht aus Neugier, oder zur Übung des Herzens, das auch im Lorbeer wäre ... 6–9 Nicht „Glück“ bildet seine Rechtfertigung. Schon deshalb nicht, weil es überhaupt nicht wirklich „ist“, denn es besteht nur in der Form eines „Vor-Eilens“; als flüchtiges Vorspiel eines Eigentlichen. Das Wort – und entsprechend das folgende – muß nämlich wohl so gelesen werden, daß „Glück“ als ein „vor-eiliger Vor-Teil eines nahen Verlusts“ erscheint; als das vorauflaufende Stück von etwas, dessen Hauptteil später eintrifft; die glänzende Vorhut eines nachfolgenden düsteren Heeres. Ein ähnlicher Gedanke wie in der ersten Elegie, in der es heißt, das Schöne sei „nichts/als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen“. „Glück“ rechtfertigt das menschliche Dasein also nicht. Ebensowenig die „Neugier“: die Erwartung des Kommenden; oder die „Übung des Herzens“ in Freude, Leid, Verlassenheit, Sehnsucht. Das alles „wäre“, sagt Rilke, „auch im Lorbeer“. Lassen wir zunächst dahingestellt, ob er denkt, auch die Pflanze sei | ||
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