Romano Guardini Online Konkordanz
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Einzelstücke ist, oder aber ob eine irgendwie geartete gedankenmäßige, tätigzweckliche, künstlerische oder stimmungsmäßige Einheit vorliegt. Ist dies der Fall, dann muß Inhalt und Form dieses Gebildes daraufhin geprüft werden. *1 Endlich ist zu fragen, wie es im Gesamtbereich des Lebens jener Gemeinschaft steht, von der und für die es geschaffen wurde, und durch welche es gelebt wird.
So ist schon durch das Gesagte neben die historische eine systematische Liturgiewissenschaft gestellt. *2
Noch nachdrücklicher drängt sich diese Folgerung auf, wenn man bedenkt, daß die Liturgie etwas Verbindliches ist. Bleiben wir bei dem vorhin angezogenen Bild: Die Gesellschaftswissenschaft - im weiteren Sinne - hat erkannt, daß das Rechtswesen nicht nur etwas Vergangenes, sondern auch etwas Vorhandenes, heute Bedeutungsvolles ist. So hat sie der Geschichte des Rechtes die Wissenschaft von dessen Bau und Zweck, d.h. das System des Rechtes an die Seite gestellt. Nun gelangt sie zu einer zweiten Tatsache. Das Recht ist nicht nur vorhanden und wirksam, sondern auch verbindlich. Es beeinflußt nicht nur, wie jede andere gegebene Ursache auch, sondern verpflichtet. Es ist nicht nur, sondern es gilt. Dadurch wird das Recht als Ganzes, als positive Ordnung bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse aus dem Bereich des nur Tatsächlichen, des bloßen geschichtlichen Werdens und Vergehens herausgehoben und in die Nähe des Übergeschichtlich-Unbedingten gerückt. Will also die Rechtswissenschaft ihrem Gegenstand Genüge tun, so muß sie zu der Frage nach seinem geschichtlichen Werdegang die andere fügen: "Wie und wozu verpflichtet diese Rechtsordnung?
*1 Über verschiedene Versuche, dieser Einheit gerecht zu werden, vgl. P. de Puniet O.S.B., La méthode en matière de Liturgie, in: Cours et Conférences des semaines liturgiques, tome II, 1914, S. 39 ff.

*2 Der Ausdruck "systematisch" befriedigt nicht ganz. Insofern er soviel bedeutet wie "geordnet", "zielbewußt", kommt er jeder Wissenschaft, also auch der geschichtlichen, im Gegensatz zum regellosen Fragen zu. Hier soll er aber die besondere Forschungsrichtung und -weise bezeichnen, welche die auf das Gleichzeitig-Zusammenhängende gerichtete Forschung von der dem zeitlichen Werden zugewandten unterscheidet.

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