Romano Guardini Online Konkordanz
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Jahrhunderte hin aufrecht erhalten - ebenso wie die Botschaft von Gottes Liebe, die, sobald sie ihrem vollen Sinn nach verstanden wird, jegliche natürliche Verständlichkeit sprengt. Nach allen Regeln der Wirklichkeit wäre ein solches Gebilde nach kurzer Zeit zerfallen. Die Kirche ist aber nicht zerfallen; damit hat sich in ihr etwas ereignet, das vor aller Historie und Lebenskenntnis unmöglich ist. Diese Tatsache besagt, die Kirche müsse von jenseits des Menschlichen her begründet und gehalten sein.
Der andere Gedankengang ging so: Eine lange Beschäftigung mit dem Aufbau des Lebendigen hatte mich gelehrt, daß alles Menschliche in typischen Strukturen steht und von ihnen her bestimmt werden kann. Solange man die Kirche nicht von vornherein einschränkt - historisch oder soziologisch oder wie immer -, ist das bei ihr nicht möglich. Wohl finden sich in ihr alle Typen des Menschlichen, sie geht aber in keinem von ihnen auf. Immer wieder hat die Gefahr gedroht, daß ein solcher Typus überwuchere und sie unter seine Herrschaft bringe; die Geschichte der Häresien zeichnet die Reihe dieser Vorgänge. Sie haben aber die Kirche in ihrem Kern nicht übermächtigen können. Sie haben sie manchmal verengt, oder verarmt - wer aber ihre wirkliche Geschichte kennt, weiß, daß ihr Wesen immer voll und einig geblieben ist. Das heißt: in ihr ist etwas, das über allen Strukturen und deren Gegensätzen steht. Sie geht in keiner Struktur auf, sondern umspannt alle - Adolf v Harnack hat dem Ausdruck gegeben, als er von der coincidentia oppositorum in der Kirche sprach, freilich darunter eine Vermengung von Widersprüchen verstand. In Wahrheit lebt in der Kirche etwas, das - der Energie vergleichbar, die im Atom dessen Bestandteile zusammenhält - die zwischen den Strukturen herrschende Spannung überwindet und eine Ganzheit möglich macht, welche nach allen soziologischen Einsichten vom Irdischen her unmöglich ist. Es ist das Walten des Heiligen Geistes, der sie »katholisch« macht und befähigt, die Kirche aller Völker zu werden, »alle Tage bis zum Weltende« (Mt 28,20). Diese

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