Romano Guardini Online Konkordanz
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eines normalen Verlaufs und stellt ihm einen außergewöhnlichen gegenüber. Die Norm ist durch das Moment der Leistung bestimmt. Jene Erkenntnis ist normal, die durch gewissenhafte Forschungs- und Denkarbeit erworben werden kann; jenes organisatorische oder technische Werk ist es, das aus entsprechender Anstrengung hervorgeht. Das menschliche Dasein ruht darauf, daß sein durchschnittlicher Bestand an Ordnungen, Handlungen, Werken durch regelmäßige Leistung hervorgebracht werden kann. Diesem normalen Verlauf steht jener gegenüber, wonach besonders werthaltige Taten oder Werke aus einem außergewöhnlichen Ergriffensein, aus einem seltenen Kontakt mit den Notwendigkeiten des geschichtlichen Augenblicks, und aus ungewöhnlicher Begabung entspringen. Sie gehen in der allgemeinen Ordnung von Arbeit und Ergebnis nicht auf, sind weder zu fordern noch zu garantieren. Werke von letztem Tiefgang, von umfassender Wertrealisation und reiner Klarheit der Gestalt müssen geraten. Sie setzen eine durch keine Norm erfaßbare Gunst des Augenblicks voraus. Auch in einem solchen Falle redet man von Gnade, und meint damit die Weise, wie das besonders Werthafte entsteht: durch ungewöhnliche schöpferische Kräfte; durch eine besondere Fügung, welche ermöglicht, was für die Regel nicht gelingt. Beides hat den Charakter der Huld; denn im allgemeinen regiert nicht die hohe Begabung, sondern der Durchschnitt, und überhaupt scheint das Dasein der Verwirklichung der hohen Dinge feindlich zu sein.
Die gleiche Vorstellung kehrt im Verhältnis der Menschen untereinander wieder. Eine Unzahl lebensnotwendiger und fördernder menschlicher Beziehungen hat den Charakter der Regelmäßigkeit. Sie bilden sich von selbst nach den Notwendigkeiten der Natur und der gesellschaftlichen Ordnung, wie in der Familie, im Zusammenleben von Gemeinde und Staat; oder aber sie können, wie Geschäftsbeziehungen und organisatorische Zusammenschlüsse, jederzeit herbeigeführt werden. Daneben gibt es aber auch den Bereich der "Begegnung". Darin waltet ein a-rationaler Faktor, günstig oder verhängnisvoll

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