Romano Guardini Online Konkordanz
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man so sagen kann, nach welchem das Leben der Natur sich vollzieht, ist der des einfachen Sich-Auswirkens: Was drinnen ist, lebt sich hinaus.
Wie steht es mit dem Menschen? In ihm ist etwas wirksam, das sich im Tier nicht findet; so offenkundig wirklich und wirksam, daß man schon blind sein muß, um es nicht zu sehen: der Geist. Er bringt alles, was »Natur« heißt, in eine neue Situation.
Im Raum des Geistes hat nämlich der Trieb eine andere Bedeutung, als in der bloßen Natur. Er spielt anders, wirkt anders; so ist es unsinnig, das Leben des Menschen von dem des Tieres her verstehen zu wollen. Heute wird ja die Unsinnigkeit oft noch überboten, indem man den Menschen von der Maschine her versteht; aber lassen wir das auf sich beruhen. Jedenfalls ist es sinnlos, als Maßbild des menschlichen Lebensvollzugs das des Tieres aufstellen zu wollen.
Was bewirkt also der Geist in den menschlichen Trieben? Im Drang nach Nahrung, geschlechtlicher Erfüllung, Tätigkeit, Ruhe, Bequemlichkeit? Zunächst etwas Überraschendes: er steigert sie. Kein Tier folgt dem Nahrungstrieb in der Weise, wie der Mensch, der den Genuß zum Selbstzweck macht und sich dadurch selbst schadet. In keinem Tier gewinnt der geschlechtliche Trieb eine Maßlosigkeit und Bellebigkeit wie im Menschen, der sich von ihm bis zur Zerstörung von Leben und Ehre drängen läßt. Kein Tier hat solche Lust am Töten wie der Mensch, für dessen Kriegswesen es im Tierreich keine wirkliche Entsprechung gibt.
Alles, was Trieb heißt, arbeitet beim Menschen anders als beim Tier. Der Geist setzt die Lebensimpulse in eine eigentümliche Freiheit. Sie werden stärker, tiefer, gewinnen viel weitere Möglichkeiten des Forderns und Antwortens -zugleich verlieren sie aber den Schutz der organischen Ordnungen, in die sie beim Tier gebunden und gesichert sind; werden ungeregelt und in ihrem Sinn gefährdet. Der Begriff

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