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II. Ein totes Ding - ein Kristall etwa, oder eine Maschine - steht fertig da. Man kann es durchforschen und durchrechnen. Einen Fortschritt im Sehen und Erkennen gibt es nur in dem Sinne, daß etwa Teile eines Bestandes noch nicht bemerkt oder in ihrem Verhältnis zu anderen Teilen und zum Ganzen noch nicht verstanden, oder aber die Beziehung des Dinges zum Naturzusammenhang überhaupt noch nicht richtig gesehen waren. Ganz anders das Lebendige. Der feststellbare Bestand des Samenkorns zeigt nicht, welche Pflanze in ihm steckt, sondern der Betrachtende muß warten, bis ihre Gestalt sich aus dem lebendigen Innern heraushebt. Lebendiges ist nicht von vornherein fertig, sondern verwirklicht sich in der Form des Wachsens und Sich-Wandelns. Das zunächst noch erst Angelegte tritt in anschaubare Wirklichkeit. Und zwar vollzieht sich das immerfort, bis zum letzten Augenblick des Lebens - denn auch das Welken und Absterben ist noch "Leben". Erst in der vollen Reihe der "Erscheinungen" wird das ganze Wesen sichtbar. Aus dem Verborgenheitszustand der Anlage in die Offenheit der Verwirklichung hinauszutreten, ist die Art, wie Leben besteht; diese Art kann man in einem hinweisenden Sinne "Offenbarung" nennen. Vielfältiger an Formen und reicher an Sinn wird der Vorgang beim Tier. Hier kommen zum Wachstum die Wahrnehmungen und die spontane Bewegung. Das Tier steht im Austausch mit der Umwelt; wird von ihr bestimmt und bestimmt sie seinerseits. Auch in der Mannigfaltigkeit dieser Umweltsbeziehungen tritt das Wesen aus der Anlage in die Wirklichkeit ... Ferner vollzieht sich immerfort der Vorgang des Ausdrückens. Das Tier empfindet Wohlsein und Schmerz und wird von Trieben bewegt. Diese sind an sich "innerlich", verborgen, tun sich aber in Veränderungen des Aussehens und der Haltung, in Bewegungen und Tätigkeiten kund. Leben vollzieht sich in der Spannung zwischen Möglichkeit und Sein. Das zunächst nur angelegte Wesen verwirklicht sich | ||
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