Romano Guardini Online Konkordanz
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durch. Der Frage nachzugehen, wie dieser Eindruck von Herbheit und Leidenschaft, Verhüllung und Ausbruch, Jugendfrühe und Schicksalsträchtigkeit zustande kommt, bildet eine besondere Freude der Lektüre. Drei zunächst sehr verschiedene Momente wirken hier zusammen.
Einmal der Bericht der Begegnung zwischen Dante und Beatrice, wie er neun und sie acht Jahre alt sind. Aus ihr geht ein Gefühlszustand tiefer Liebesbindung hervor, der für Dante zum inneren Schicksal wird. *3 Es folgt der Bericht über einige andere Begebnisse, über Zeiten der Abwesenheit Beatrices und schließlich über ihren Tod, den sie 1290 im jugendlichen Alter von dreiundzwanzig Jahren erleidet, nachdem sie mit einem, wie es scheint, nicht geliebten Mann, Simone Bardi, vermählt gewesen ist. In diesen Begegnungen geschieht, äußerlich gesehen, nichts als etwa ein Erblicken von fern, ein Gruß oder die Verweigerung eines Grußes. Die Antithetik zwischen der Geringfügigkeit des äußeren und der Wucht des inneren Vorgangs – wer Dante genauer, zum Beispiel aus den Canzonen an die »Steinfrau« *4 kennt, weiß, welche Leidenschaft in ihm lebte – sie bewirkt den Eindruck der Verhülltheit, von dem wir sprachen.
Ein zweites Element bilden die einunddreißig eingestreuten Gedichte. Sie sind von einer Ursprünglichkeit des Gefühls und einer Süßigkeit der Sprache, wie sie so jugendlich frisch in Dantes Werk nicht mehr wiederkehren. Nicht zu vergessen die tiefe Glut der Bilder; ich erinnere besonders an das Sonett in Kapitel III, worin sich dem Dichter der Schmerz als Grundelement dieser Liebe offenbart.
Endlich, in merkwürdiger Gegensätzlichkeit dazu, jene Textteile, welche die einzelnen Gedichte erklären. Genauer gesagt, nicht sie erklären, sondern sie, wie das immer wiederkehrende Wort dividere sagt, einteilen. Sie offenbaren den konstruktiven
*3 Wie endgültig diese war, sagen zum Beispiel die Canzone LXVII und das Sonett CXI der Rime, Opere 81,60ff; 118. Dann natürlich, und vor allem, die ganze Divina Commedia, besonders Par. 30,28ff.
*4 Rime per la donna pietra, Opere 103ff, besonders 109,59ff.

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