Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 330> 


Prophet ist unter uns erstanden‘ – und: ‚Gott hat sein Volk (in Gnaden) heimgesucht.‘
Diese Rede über Ihn verbreitete sich in ganz Judäa und allem Land ringsum.“
Zuerst einige kleine Erläuterungen. Es ist von einer „Stadt“ die Rede – klein, wie die ummauerten Ortschaften Palästinas waren. Heute ist Naïn ein ärmliches Dorf, etwa acht Kilometer von Kapharnaum entfernt.
Jesus kommt des Weges, vielleicht vom letztgenannten Ort her, wo Er eine ständige Wohnung hat, so weit bei seiner Lebensweise von einer solchen die Rede sein kann. Er geht auf das Städtchen zu, da kommt Ihm aus dem Tor ein Leichenzug entgegen. Daß „zahlreiches Volk“ darin mitgeht, bedeutet nicht, der Tote sei vornehmen Ranges gewesen. Für den alttestamentlichen Gläubigen war es eine der wichtigsten Pflichten, Tote zu begraben, oder doch ihnen die letzte Ehre zu erweisen.
Lukas will uns den menschlichen Charakter des Begebnisses nahebringen; so sagt er, der Tote sei der einzige Sohn seiner Mutter, und die sei Witwe gewesen. Er ist also ihr wirtschaftlicher und sozialer Halt, darüber hinaus aber vielleicht der einzige Mensch gewesen, den sie noch geliebt hat. Den hat sie nun verloren, und wenn sie vom Grab heimkehrt, wird sie allein im verlassenen Haus sitzen.
Jesus sieht das Leid und „wird von Mitleid ergriffen“. Das Evangelium spricht nicht leicht von Gefühlen; hier ist eine der Stellen, an denen es geschieht. So sagt Er zu ihr: „Weine nicht!“ Soll das Wort kein Hohn sein, dann muß darin eine Verheißung liegen. Er tritt denn auch zur Bahre, rührt sie an, und die Träger bleiben stehen; sie fühlen, etwas Helfendes ist nahe. Die Erklärer machen darauf aufmerksam, daß schon dieses Anrühren bedeutungsvoll war, denn nach dem Gesetz wurde jeder, der mit einem Toten oder dem, was zu ihm gehörte, in Berührung kam, verunreinigt. Doch Jesus, der „Herr über den Sabbat ist“ (Mt 12,8), steht auch über den levitischen Reinheitsvorschriften. Dann ruft Er den Toten an, und es ist wohl der Bemühung wert, sich in die Macht dieses Rufes hineinzudenken.

 < Seite 330>