Romano Guardini Online Konkordanz
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anders sein konnte, als die Sprache, in der Wissen und Lebenskenntnis zuflossen, die Oberhand. Später war es auch die Sprache der Universitäten, die ich besuchte, und in der sich eigenes geistiges Schaffen zu entfalten begann.
Aus der ganzen Situation entstand ein schwer empfundener Konflikt, als zum bloßen Wissensdrang das Problem des Berufes hinzukam. Und zwar durch die Frage, in welchem Lande dieser Beruf ausgeübt werden sollte; denn »Beruf« ist ja meistens mit Prüfungen, Berechtigungen, kurzum, mit einem gesellschaftlichen Zusammenhang verbunden und bezieht sich daher auf ein bestimmtes Land. Vom geistigen her gesehen, mußte ich diesen Beruf in Deutschland ausüben, denn meine Bildung und Lebensvorstellungen waren deutsch; ja ich dachte auf deutsch, denn man denkt ja in einer Sprache. Auf der anderen Seite war aber die Verbindung mit Italien immer lebendig, für meine Eltern war es die Heimat, also das Land , in welchem, ihrer Meinung nach, ihr Sohn leben und arbeiten sollte.
Das ist schon lange her, mehr als ein halbes Jahrhundert. So weiß ich nicht, ob ein junger Mensch von heute die Frage so empfinden würde, wie ich sie empfunden habe. Wahrscheinlich nicht, denn seitdem ist vieles geschehen - in der großen Welt draußen, durch Kriege, Vertreibungen und Fluchten; aber auch in der inneren, im Wandel des Denkens und Fühlens. Damals jedenfalls war die Bindung an das eigene Land durch alles das, was patriotische Ehre und Verpflichtung hieß, sehr stark; so bedeutete es für mich die Möglichkeit einer anständigen Lösung des Konflikts, als mir die europäische Idee aufging.
Nun konnte ich die italienische Staatszugehörigkeit aufgeben und die deutsche erwerben, ohne eine Treue zu brechen, denn es geschah innerhalb eines Zusammenhangs, der beide Bereiche umfaßte, und der hieß »Europa«. Ich habe den Schritt nach Deutschland hin im Bewußtsein getan, Europäer zu sein. Freilich hatte das Europäersein auch seine Schwierigkeiten.

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