Romano Guardini Online Konkordanz
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daß Gott alles, die Welt und uns Menschen, erkennt.
Wir wollen sie wieder aus einem Text der Heiligen Schrift vernehmen, nämlich aus dem 138. (139.) Psalm. Er stammt aus einer späten Zeit der alttestamentlichen Geschichte, in welcher die Menschen sich nach innen wenden; darüber nachdenken, wie sein könne, was ist, und warum die Dinge gehen, wie sie es tun. So kommt ihnen auch die Frage, wie das sei, wenn Gott alles erkennt.
Und zwar fragt der Psalm nicht danach, wie es sei, wenn Gott die Unabsehlichkeit der Natur oder die Unerschöpflichkeit der Geschichte, sondern wenn Er den Menschen erkennt, der da redet. Das ist aber zugleich, dem Sinn des Gotteswortes nach, jeweils jener, der den Psalm im Ernst des Glaubens liest.
Der Text besteht aus fünf Strophen, die sich in lebendige Bewegung gegeneinander aufrichten und dadurch den Gedanken mächtig weitertreiben:
"Herr, Du prüfest und kennest mich; wo ich sitze und stehe, weißt Du um mich.
Meine Gedanken erkennst Du von fern;
mag ich gehn oder liegen, es ist dir vor Augen, all meine Wege sind Dir kund.
Und ist mir ein Wort noch nicht auf die Zunge gelangt: sieh, o Herr, schon kennst Du es ganz.
Vom Rücken, von vorn umschließest Du mich, und Deine Hand hast Du auf mich gelegt.
Allzu wunderbar ist für mich dieses Wissen, allzu hoch, ich fasse es nicht.
Wohin könnte ich gehn, von Deinem Geiste fort? Wohin fliehn vor Deinem Angesicht?
Steig ich zum Himmel hinauf, so bist Du dort; bette ich mich in die Unterwelt: siehe, auch da bist Du.
Nehm ich die Flügel der Morgenröte, laß ich mich nieder am Ende des Meers, wird auch dort Deine Hand mich führen, Deine Rechte mich halten.
Spreche ich aber: "So soll die Finsternis mich überdecken, Nacht mich umgeben an Stelle des Lichts" - noch die Finsternis wird Dir nicht dunkel sein; wie der Tag wird die Nacht Dir erstrahlen, und die Finsternis ist Dir wie Licht.
Denn Du hast mein Innres gebildet, mich gewoben in meiner Mutter Schoß.
Ich preise Dich, daß ich so wunderbar bin gestaltet worden, daß Deine Werke so würdig des Staunens sind!
Du kennst meine Seele bis auf den Grund; mein Wesen war nicht verborgen vor Dir,
als ich im Dunklen gebildet ward, gewoben ward in der Erde Schoß.
Deine Augen haben schon damals meine Taten geschaut: alle sind sie in Deinem Buche verzeichnet, alle Tage bestimmt, ehe noch einer war.
Wie sind mir, o Gott, Deine Pläne so hoch, wie ungeheuer ist ihre Menge!
Wollt ich sie zählen, sie wären mehr als der Sand; noch wenn ich einst erwache, bin ich mit Dir an kein Ende gekommen.

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