Romano Guardini Online Konkordanz
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Zusammenhang der organischen Notwendigkeiten. Im Fragen hingegen tritt der Mensch aus diesem Zusammenhang heraus, nimmt Abstand, richtet seinen Blick auf das Ding, das da steht, und will "wissen": Was ist das? Wie ist es beschaffen? Warum ist es? Wenn er von einem Vorgang erfaßt wird, dem Sturm, oder Krankheit, dann sucht er sich nicht nur zu wehren, wenn das Geschehen ihm schadet, oder es zu benutzen, wenn es fördert, sondern er stellt sich hinaus und fragt: Warum geschieht das so? Wohin führt das? Wie muß ich mich darin verhalten? Wozu kann ich es nützen?
Durch dieses Tun unterscheidet sich der Mensch vom Tier. Kein Tier tut so, auch das scheinbar klügste nicht. Es tritt nie aus dem Zusammenhang der Natur heraus. Sein Verhalten ist nur ein instinktives Sich-zurechtfinden in ihm.
Der Mensch hingegen tritt den Dingen gegenüber, betrachtet und fragt. Dadurch öffnet sich ihm ein zweiter Raum, außer dem des unmittelbaren Seins: der Raum der Frage und der Antwort, des Bewußtseins und des Sinns. Darin erscheinen die gleichen Dinge wie in der Natur, aber anders. Sie werden durchsichtig auf das hin, was "Wesen" heißt. Sie öffnen sich auf das hin, was "Sinn" heißt. Sie treten in eine Nähe zum Geist. Sie werden für den Geist bewohnbar.
Die Bedeutung - die eigentliche, endgültige - dieses Tuns liegt nicht im Nutzen. Einen solchen hat auch das Tun des Tieres; sogar viel unmittelbarer und sicherer als das des Menschen. Sie besteht in etwas, was nicht weiter erklärt werden kann, was aber jeder, der den Namen Mensch zu Recht trägt, ohne weiteres empfindet: in der Wahrheit. Sobald das Fragen und Antworten gelingt, stellt sich eine geistige Befriedigung, eine Bereicherung und Ausweitung ein: die Erkenntnis.
Schon an den ersten Zeugnissen menschlichen Daseins sehen wir die Anzeichen dieses Vorgangs. Sobald der Mensch er selber ist, sucht er Wahrheit zu erkennen. Darin nimmt er die Welt in einer Weise zu eigen, wie das Tier es nicht vermag.
Gewiß bringt die Erkenntnis ihm auch Nutzen. Er gewinnt dem Sein gegenüber Sicherheit. Er vermag sich seiner Gefahren

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