Romano Guardini Online Konkordanz
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Wenn ein unselbständiger Charakter sich einem selbständigen unterordnet und ihm ohne weiteres folgt; wenn eine Volksmenge einem geschickten Demagogen nachgeht; oder endlich jemand durch besondere seelisch-sinnliche Beeinflussung einen anderen dazu bringt, ihm nachzugeben, so findet in all diesen Fällen wohl eine mehr oder weniger bewußte und gewollte Unterordnung unter einen fremden Willen statt. Trotzdem kann man sie nicht als Gehorsam im sittlichen Sinne bezeichnen. Es fehlt der Handlung der ethische allgemein gültige Inhalt. *1 Sie ist nur ein einmaliger Lebensvorgang, ohne überindividuelle, bleibende Bedeutung, eine bloße konkrete Beeinflussung. Das Über- und Unterordnungsverhältnis zweier konkreter Persönlichkeiten ist vorhanden, aber es fehlt der objektive, ideelle Sinn.
Andererseits: Kann man von Gehorsam in der eigentlichen Bedeutung des Wortes reden, wenn der Denkende den Forderungen der Logik folgt? Es handelt sich ja dabei um allgemein gültige, objektive Normen. Allein dieses Folgen wird nicht als Gehorsam zu bezeichnen sein, denn es ist dafür zu selbstverständlich, zu sehr sachlich notwendig. Doch wird man vielleicht einwenden, es bleibe dem Denkenden nichts anderes übrig, als den logischen Regeln zu folgen. Es handle sich um eine Art Zwang, und damit gehöre der Fall überhaupt nicht in eine ethische Untersuchung. -Wie aber steht es mit der Bejahung eines sittlichen Gesetzes? Das Gesetz: »Du sollst das Gute tun«, etwa in der spezielleren Anwendung: »Du sollst die Wahrheit sagen, denn das ist ein Gutes«, kann unmittelbar, und zwar mit Gründen, befolgt oder übertreten werden. Es besteht also kein Zwang. Kann aber eine solche Befolgung als Gehorsam im eigentlichen Sinne bezeichnet werden?
Verfasser will es scheinen, man dürfe das nicht tun, ohne dem Begriff des Gehorsams ein wesentliches Moment zu nehmen. Jenes Gebot hat eine unbedingte, in sich ruhende Gültigkeit, die unabhängig vom Willen des Bejahenden ist. Aber die Handlung
*1 Unter »Inhalt der Handlung« ist deren Motiv, Zweck, Bedeutung verstanden; das, was damit beabsichtigt und wodurch sie bestimmt wurde.

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