Romano Guardini Online Konkordanz
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der Zug ein, und man geht durch die seltsame Stadt, in welcher man die Tatsache des Menschenwerks, des Gebautseins von Palast und Haus und Kirche so tief spürt, weil man weiß, daß alles auf Pfählen im Meeresgrund ruht. Hier und dort sieht man einen Turm geneigt, ein jäh aufschreckendes Zeichen der Gefährdung, so daß man, wie an einer Grenze des menschlichen Daseins überhaupt, das Ungesichert-Schwankende dieses Daseins ahnt. Eigentümliche Stadt. So blockhaft getürmt oft diese Bauten sind, so unwirklich schattenhaft ist wiederum das Ganze. Kaum ein Bau, der die standhaltende Klarheit rein durchformten Werkes an sich trüge.
Wir aßen zu Mittag und nach Überwindung einiger Schwierigkeiten wurden wir mit einem Gondolier einig. Kurz vor Zwei fuhren wir hinaus. Erst durch die Stadt, durch große und kleine Kanäle, an Palästen und armem Gebäu emporblickend, während rechts und links immer neu gewinkelte und gebrochene Querstraßen abzweigten.
Von denfondamenta nuova aus ging es ins Freie. Erst an der großen Friedhofsinsel vorbei, über deren langgestreckte, gelbe Mauern das schwarze Grün der Zypressen emporragte; an Murano und an dem Inselchen mit der Kirche der heiligen Katharina. Dann öffnete sich die Weite. Die Gondel glitt, jedem Druck der Ruder gehorchend, über die kaum gewellte Fläche, durch den leichten Schlag der beiden, auf dem Vorderdeck und dem Heck stehenden Männer getrieben. Halb liegend fühlte man sich fast vom Meeresspiegel getragen.
Rechts in der Ferne schwamm, mit zierlichen Zypressen bestanden, die Insel der Franziskaner. Dann erschien Burano. Man sah mit Besorgnis, wie sehr sich der Turm seiner Kirche neigte, und fühlte sich beruhigt, als die großen Gerüste deutlich wurden, mit denen er gestützt war. Die Inseln und die Landstreifen zwischen dem rinnenden Wasser erschienen ganz flach und schmal; darüber hoch und weit der Himmel.

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