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umhin, solche zu empfinden. Über Verona führt die alte Straße vom Norden nach Italien herein, und Straßen sind Bahnen des Lebens, auf denen man hergehen kann, aber auch hin. Dazu kommt, als ganz persönliches Omen, daß der Name »Guardini« doch wohl vom deutschen »Wardein« stammt, und es also nicht grundlos wäre, zu denken, auf irgend einem Heereszug von Deutschland her sei Einer dieses Namens – oder Amtes – in Verona hängen geblieben. Dann wäre es nicht nur möglich, sondern sogar vorbedeutet gewesen, daß ein Nachkomme von ihm eines Tages den umgekehrten Weg gehen würde – und das ist denn auch geschehen. Aus beruflichen Gründen siedelte meine Familie nach Deutschland über; und während man zu Hause italienisch sprach und dachte, wuchs ich geistig in die deutsche Sprache und Kultur hinein. Was sollte aber nun werden? Sie sehen, ich bediene mich der präsumierten Erlaubnis, von mir selbst zu sprechen, und hoffe, Sie nicht zu langweilen. Ich fühlte mich innerlich dem deutschen Wesen zugehörig. Also hätte die damals gebotene Lösung einfach sein müssen: das deutsche Staatsbürgerrecht und damit auch die äußere Gemeinschaft des Lebens und Werkes zu gewinnen. So zu tun, war aber in Wahrheit durchaus nicht einfach, denn ich konnte den Zusammenhang mit Italien nicht aufgeben. Das machte einmal die Lebensluft, die ich von Kind auf eingeatmet hatte. Mein Vater hatte das Risorgimento – er gehörte geistig der Schule Cavours an – leidenschaftlich nach- und miterlebt. So war ihm der Gedanke, sein ältester Sohn könne die staatliche Gemeinschaft seines Landes aufgeben, schwer zu fassen. Abgesehen davon liegt aber auch das, wovon ich spreche, ein halbes Jahrhundert zurück, und damals waren Volk und Staat stärker empfundene Realitäten als heute. Der Nationalismus hat gewiß Unheil genug angerichtet; doch es ist sehr die Frage, ob mit seinem Verschwinden nicht auch die Verbundenheit mit dem eigenen Volk und Staat schwächer – und | ||
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