Romano Guardini Online Konkordanz
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Jahre 1846 ereignet. Zehn Jahre später geschahen die Visionen von Lourdes. Und während Maria sich hier der kleinen Bernadette als „die Dame“ gezeigt hat, in Güte lächelnd, war ihre Gestalt in La Salette die einer von tiefem Schmerz erschütterten Seherin kommenden Schicksals gewesen. „Celle qui pleure: die, die weint“, hat Léon Bloy sein Buch über La Salette überschrieben – im Unterschied zu „Celle qui rit: jener, die lächelt“, der „schönen Herrin“ von Lourdes. La Salette liegt in Hoch-Savoyen, und in der Erinnerung erlebt Durtal noch einmal den Weg hinauf, durch ein Gebirgsland des Schreckens. Dann aber denkt er an eine Szene, die etwas von antiker Größe an sich hat, und ich will sie hersetzen, wie sie auf Seite 16 und 17 des Buches steht.
Unserer religiös so sehr vernünftig, um nicht zu sagen, eintönig gewordenen Zeit tut es vielleicht gut, das Bild vor sich zu sehen.
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„Und Durtal erinnerte sich an das wundersame Schauspiel, dem er eines Morgens beigewohnt hatte.
Er hatte auf dem Hoch-Plateau gesessen, im eisigen Schatten der Kirche, den Blick auf dem Friedhof vor ihm und auf den bewegungslosen Sturzwellen der Berge. Da glitten, ganz fern im Himmel, auf dem schmalen Band eines den Abgründen entlanglaufenden Weges, Körner dahin, eins nach dem andern.
Dann, allmählich, hellten sich die zuerst dunklen Körner in leuchtende Farbtöne auf; sie formten sich zu kleinen Glocken von Farbe, auf denen eine weiße Kugel saß, und bewegten sich schließlich als eine Reihe von Bäuerinnen, die weiße Hauben trugen.
In einer Reihe, eine nach der anderen, langten sie auf dem Platz an.
Nachdem sie sich auf dem Friedhof mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnet hatten, gingen sie zur Quelle und tranken einen

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