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eine Tugend und wert, bedacht zu werden. Vielleicht ist eine persönliche Erinnerung erlaubt. Als ich - vor nun schon langer Zeit! - noch in der Schule war, hat mir eine sehr verehrte Frau einmal gesagt: »Vergiß nicht, daß es die große Nächstenliebe gibt, aber auch die kleine! Für die große kommt ihre Zeit, wenn es gilt, einer drängenden Not zu helfen, oder in der Gefahr eine Treue zu halten. Für die kleine ist immer Zeit, denn sie gehört in den Alltag. Es ist die Höflichkeit.« Das Wort habe ich nie vergessen. Was ist das also, die Höflichkeit? Das Wort hat ursprünglich, wie man leicht sieht, das rechte Verhalten am Hofe des Fürsten, in hoher Umgebung also, gemeint. Diese besondere Bedeutung hat es dann verloren und eine allgemeinere angenommen: die des richtigen Benehmens überhaupt, wie es aus einer guten Erziehung hervorgeht, und so soll es hier verstanden sein. Die Menschen leben auf engem Raum miteinander, im Bereich des Hauses, des Büros, der Fabrik, in den Zimmern der Behörden, im Gedränge der Straßen und ihres Verkehrs, in der Enge des vielbesiedelten Landes. So berühren sich ihre Lebenssphären beständig. Ihre Absichten kreuzen einander geradeso wie die Wege, die sie gehen. So entsteht auch immerfort die Gefahr der Reibung, der Entzündung, und jeder vernünftige Mensch wünscht, ihr zu begegnen. Er wird nach Formen suchen, in denen sich die Sorge für ein richtiges Zusammenleben der Vielen ausdrückt; die Heftigkeit gegensätzlicher Gefühle und Absichten sich mildert; jeder dem Anderen entgegenkommt und seinerseits Entgegenkommen erfährt. Das ist die Höflichkeit; eine alltägliche Sache, aber wie wichtig im Ganzen! Nun könnte einer meinen, das müsse sich doch eigentlich von selbst geben. Das würde es auch, wenn - der Mensch wie ein Tier wäre! jeder hat wohl schon einmal vor einem Ameisenbau | ||
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