Romano Guardini Online Konkordanz
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II.
Wir stehen hier vor einer Grundfrage der Lehre von der Erkenntnis überhaupt; der religiös-christlichen Erkenntnis im Besonderen.
Die erkenntnistheoretische Frage enthält zunächst ein allgemeines Problem: Was bedeutet jener Akt, den wir "Erkenntnis" nennen? Nicht seinem psychologischen Ablauf, sondern seinem Inhalt, seinem Sinn nach? Jener Akt macht den Anspruch, "Gegenstände" zu erfassen; ist das richtig? Was sind diese Gegenstände? Wie stehen Sie zum erfassenden Subjekt? Welche Grenzen sind dieser Erfassung gesteckt? Die erkenntnistheoretische Frage im Allgemeinen beschäftigt sind also mit dem eigentümlichen Verhältnis, in welchem beim Erkennen überhaupt Erkenntnisträger und Erkenntnisgegenstand zueinander stehen.
Dann aber greift die Frage weiter: Ist dieses Verhältnis überall gleich? Oder bedeutet es einen Unterschied, wenn es sich das eine Mal darum handelt, einen chemischen Vorgang zu erfassen, das andere Mal aber die Motive zu verstehen, die Karl den Großen bei seiner Politik gegen die Sachsen geleitet haben.
Das Denken ist nicht gesetzgebende Gestaltung des Gegenstandes durch spontane Kategorien, wie Kant und der Idealismus, das Problem vereinfachend, behaupten. Es erfaßt vielmehr in sich seiende und bestimmte Wirklichkeit, und muß das so tun, wie diese Wirklichkeit erfaßt zu werden fordert.
Aber: Dieses Erfassen bedeutet nicht einfaches Wiedergeben. Das Erkennen ist kein toter Spiegel, der den Gegenstand reflektiert. Keine Apparatur von logischen, im Subjekt zur Einheit bezogenen Formen, die automatisch jeden Gegenstand aufnimmt, der "vor die Linse" kommt. Erkenntnis ist eine lebendige Bewegung des wirklichen Menschen zum Gegenstand; eine Begegnung von Mensch und Gegenstand - in welchem Bewegen und Begegnen jedoch ein über das konkrete Ereignis hinausragender gültiger Sinn, "die Wahrheit" hervortritt. *2 Wird uns das klar, dann können wir nicht mehr annehmen, es gehe

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