Romano Guardini Online Konkordanz
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welchem die Rede ist, und das der recht geartete Mensch auch heute noch dem Großen erweist.
In der Ehrfurcht verzichtet der Mensch auf das, was er sonst gern tut, nämlich in Besitz zu nehmen und für die eigenen Zwecke zu gebrauchen. Statt dessen tritt er zurück, hält Abstand. Dadurch entsteht ein geistiger Raum, in welchem das, was Ehrfurcht verdient, sich erheben, frei dastehen und leuchten kann.
Je höher im Rangetwas steht, desto stärker verbindet sich das Gefühl des Wertes, das es erweckt, mit diesem Abstandhalten.
Nun bewirkt aber doch die Erfahrung des Wertes, daß man an ihm Anteil gewinnen will! So gehört noch eine weitere Bestimmung dazu, die uns Heutigen sagt, warum die Ehrfurcht zurücktritt, statt vorzudringen; die Hände wegnimmt, statt zuzugreifen. Was Ehrfurcht verlangt, sind vor allem Eigenschaften der Person: ihre Würde, ihre Freiheit, ihr Adel. Aber auch solche des Menschenwerkes, in dem sich Hoheit und Zartheit offenbart. Und endlich Gebilde der Natur, in denen sich Erhabenes oder Geheimnisvolles ausdrückt.
Vielleicht darf man sagen, alle wirkliche Kultur beginne damit, daß der Mensch zurücktritt. Nicht zudringt, nicht an sich reißt, sondern Abstand schafft, damit freier Raum entstehe, worin die Person mit ihrer Würde, das Werk mit seiner Schönheit, die Natur mit ihrer Symbolmacht deutlich werden können.
Die Ehrfurcht kann auch eine, sagen wir, alltägliche Form annehmen. Jede echte Tugend erstreckt sich )a durch viele Stufen und Grade, weil sie eine Haltung des lebendigen Menschen ist. So kann, nein soll die Ehrfurcht auch im Alltag erscheinen, und dann heißt sie Achtung.
Achtung ist das Elementarste, das fühlbar werden muß, damit Menschen als Menschen miteinander verkehren können.

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