Romano Guardini Online Konkordanz
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aus dem Wald heraustretend, im Tal die Aumühle an der Argen liegen sahen, einem flach und rasch fließenden Wasser, kühl im Sommer und erquicklich rauschend, im Frühjahr aber, zur Zeit der Schneeschmelze, oder wenn droben starke Gewitter niedergehen, böse und zerstörend, recht "die Arge", wie ihr Name sie heißt. Noch spüre ich das seltsame Gefühl von Schicksal, das mich überkam, als wir die Treppe hinaufgingen, und Maria Knoepfler uns entgegentrat, in schlichter Gastfreundschaft uns willkommen hieß, und ihre Augen so forschend auf mir lagen ...
Wirklich Schicksal! Die in der Aumühle gelebt, sind alle heimgegangen; so darf wohl von dem Leid gesprochen werden, das darin gelitten worden ist. Als ihr Vater in bereits späterem Alter heiratete, mußte er am Hochzeitstag gegen die Wasser der hochgehenden Argen um sein Heim kämpfen. Das sollte zum Vorzeichen werden. Immer hat über dem Leben der Familie die Sorge gehangen. Der Vater war Sägemüller; ehrenhaft bis zum Skrupel; an alter Überlieferung und einmal gefaßtem Entschluß zäh festhaltend. Sich im schwierigen Existenzkampf der Gegenwart zu behaupten, fiel ihm schwer. Die Mutter, eine innerliche Natur, voll Liebe, aber herb verschlossen. Schon früh mußte die Tochter, das einzige Kind, die Last mittragen. Und als sie die Mutter verlor, lag nicht nur das Hauswesen mitsamt der Sorge für Dienstboten und Mühlenpersonal auf ihren Schultern, sondern auch die Buchführung und der Schriftwechsel des Geschäftes. Die Last war erstickend schwer. Nicht eigentlich die Arbeit als solche, denn der Haushalt war Maria Knoepfler lieb, und das Geschäftliche ging ihrer klaren Übersicht und nie versagenden Gewissenhaftigkeit leicht von der Hand. Doch daß tausend Verpflichtungen, die ebensogut von einer bescheideneren Kraft hätten getan werden können, sie von wichtigeren, geistigen Dingen absperrten, war bitter. Vor allem aber der ewige dunkle Druck; der nie endende Kampf um die Existenz. Sie hätte Weite und Helle gebraucht. Statt deren ein hartes immer aussichtsloser werdendes Ringen, das schließlich zum Verkauf des Anwesens führte.

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