Romano Guardini Online Konkordanz
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Eine Parallelarbeit wäre die über Caspar. Wenn der gute K. Weiss (»Offener Brief an P. Desider. Lenz«*555 im Hochland)*556 nur ein bischen »ungotischeres« Deutsch schriebe, könnte er manches darüber sagen. - Am Ende machst Du Dich selber daran, nachdem Du Benz*557, Worringer*558 und die Weiss-schen Aufsätze noch einmal gelesen hast?
Was sagst Du zu Benz? Das Paket mit Volbehr, Simmel und De Catt*559 hast Du wohl auch erhalten? - Saitschicks Goethebuch*560 habe ich gelesen. Es ist wirklich erquickend, so echt, bescheiden und lauter.
Nur die Partien über Religion sind mir nicht eingegangen. Bin gespannt, was Du zu Volbehr sagst. Es ergänzt das Saitschick'sche Buch. Was die Frage angeht, ob G. Gemüt gehabt habe, so meine ich sie so. Ich unterscheide Gefühl, das sich zur Leidenschaft steigern kann, von Gemüt. Jenes scheint mir die Seelenreaktion des Gestalters, dieses des Schöpfers zu sein. Jenes ist wesentlich dem Objekt zugewandt, oder steht wenigstens mit ihm in Beziehung; dieses ruht in sich. Jenes behält, bei aller Tiefe und Fruchtbarkeit etwas relativ Äußerliches; dieses ist in eminentem Sinn innerlich. Jenes hat Beziehung zur Rhetorik, dieses zum visionären Ausdruck. Raffael hatte Leidenschaft, Michelangelo (italienisches) Gemüt (ebenso Dante). Beide konnten sich nicht leiden, und, bezeichnenderweise, sagte Michelangelo, Raffaels Kunst sei nicht Natur, sondern gelernt, d.h.: nicht ex intimis aufsteigend, sondern »äußerlich«. Nun hat ja deutsche Art immer einiges »Gemüt«; aber vergleiche einmal innerhalb ihrer Spannweite z.B. Goethes Prosa mit der von Raabe! Freilich, ein solcher Mann läßt sich nicht auf eine Formel bringen, aber immerhin! - Und daß er gar keinen Humor hatte! Sogar Dante hatte ihn, wenn auch wildgrimmiger Art. Und daß er vor dem Leiden und Sterben selbst seiner Lieben floh! Das ist leidenschaftliche Sensibilität, aber nicht Gemüt. Mir scheint, das Gemüt hält dem Leben stand; es kann den Stoß
555 P. Desiderius Lenz OSB (1832-1928, Beuron), Malermönch der Erzabtei und Mitbegründer der Beuroner Kunst.
556 Konrad Weiß (vgl. Br. 36 und 48), Der katholische Kulturwille und die neue Kunst. Offener Brief an P. Desiderius Lenz, in: Hochland (Mai 1914).
557 Benz, Richard (1884, Reichenbach/Vogtland, bis 1966, Heidelberg), Literatur-, Musik- und Kulturhistoriker. Werke: Die Stunde der deutschen Musik, 2 Bde., 1923-27; Die deutschen Volksbücher, 6 Bde., 1911-24.
558 Wilhelm Worringer, Formprobleme der deutschen Gotik.
559 In der Bibliothek Mooshausen befinden sich: Unterhaltungen mit Friedrich dem Großen. Tagebücher des Henri de Catt 1758-1760. Hg. u. eingel. v. Carl Georg Heise, übers. v. Clara Hertz, Weimar 1915; mit Stempel: Dr. R.. Guardini;; sowie: Theodor Volbehr, Gibt es Kunstgesetze? Esslingen 1906, mit Stempel: R. A. Guardini. - Zu den anderen genannten Namen vgl. Br. 64-66.
560 Robert Saitschick, Genie und Charakter. Shakespeare, Lessing, Goethe, Schiller, Schopenhauer, Wagner, Berlin 1900. Vgl. Br. 20, 43, 46, 70.

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