Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 134> 


Marktverhältnisse mannigfacher Natur; dem Erzieher treten im jungen Menschen verschiedenerlei Charaktereigenschaften gegenüber; der Staatsmann, der Feldherr, jeder, der mit dem öffentlichen Leben zu tun hat, stößt auf wechselnde seelische Volksbewegungen, auf Spannungszustände im Verhältnis der Völker zueinander usw. Jeder Mensch, als wirkliches, handelndes Wesen, trifft beständig mit andern, ebenso wirklichen Wesen, Mächten, Einflüssen zusammen. Er hat sich mit diesen auseinanderzusetzen; mißt seine Kraft mit ihnen, weicht aus oder kämpft gegen sie; überwindet sie und macht sie sich dienstbar oder unterliegt; vereinigt sich mit ihnen, nimmt sie in seinen Lebenskreis auf oder stößt sie ab. Kurzum, er steht in einem wirklichen Spiel und Gegenspiel wirklicher stofflicher oder seelischer Kräfte, aus dem das endgültige Verhältnis oder die endgültige Handlung hervorgeht. *1
Aber auch Gegebenheiten anderer Art treten dem Einzelnen gegenüber. Der Forscher stößt auf bestimmte Gegenstände, die ihn zum wissenschaftlichen Urteil herausfordern; der Richter steht vor einer Rechtslage und sieht sich veranlaßt, die gerechte Entscheidung zu fällen; irgend jemand betrachtet ein Kunstwerk und fühlt sich gedrängt, es als wohlgeschaffen anzuerkennen oder abzulehnen; der Handelnde ist genötigt, das Gewissensurteil auszusprechen: »Das ist gut«, oder »Das ist nicht gut« usw. Auch hier stehen objektive Gegebenheiten vor dem Menschen, mit denen er sich auseinanderzusetzen hat. Und zwar kommt es dabei letztlich nicht auf die leibhaften, einzelnen Menschen, Handlungen, Dinge an, die den nächsten Anlaß und den besonderen Inhalt solcher Urteile bilden. Die gehören der oben beschriebenen Ordnung der Personen und Sachen, also der Wirklichkeit an. Hier handelt es sich vielmehr um etwas, was durch diese wirklichen Gegenstände, an ihnen, und angesichts ihrer hervortritt: Um die Wahrheit, das Recht,
*1 Damit ist die Tatsache der Freiheit nicht beeinträchtigt. Die letzte Handlung ist kein notwendiges Ergebnis jener Kräfte und Verhältnisse, sondern freie Entscheidung.

 < Seite 134>