Romano Guardini Online Konkordanz
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vielmehr starke religiöse Elemente in sich enthält und dadurch in den Stand gesetzt wird, Mittelpunkt der Daseinserfahrung zu werden; würde dann fragen, wie sie zu den übrigen seelischen Haltungen steht, und wie sich von dort aus ein Bild der Natur und der Geschichte, der Ordnungen sowohl wie der Aufgaben des menschlichen Daseins ergibt. Entsprechend wäre, scheint es, der Romantik gegenüber zu verfahren. So könnte man z.B. von jener Vorstellung ausgehen, die sich im allgemeinen Bewußtsein findet und sich in dem abschätzigen Urteil ausdrückt: „Der Mann ist ja ein Romantiker!“ Es meint, der Betreffende habe kein Verhältnis zur Wirklichkeit, sondern lebe in einem Traumland. Damit wäre sicher etwas Richtiges getroffen. Die Romantik hat viel geträumt, und ihre Träume haben Schönes und Schlimmes hervorgebracht, zweifelhaft, von welcher Art mehr. Wenn aber Romantik nur Wirklichkeitsfremde wäre, hätte sie dann so tief gewirkt? Wissenschaft, Kunst, menschliches Zusammenleben, Politik so bis ins Innerste hinein angeregt? ... Oder man könnte von jener Vorstellung ausgehen, die sich ebenfalls im allgemeinen Bewußtsein findet und meint, der Romantiker sei ein Mensch, der aus der Gegenwart in die Vergangenheit flieht; der die Geschichte nach dem Schema des absteigenden Wertes versteht, das Vollkommene als goldenes Zeitalter an den Anfang setzt, und alles Folgende für desto schlechter empfindet, je später es liegt. Auch diese Vorstellung würde zutreffen; in der Romantik gibt es diese Weise, zu empfinden. Sie hängt aufs engste mit ihrem historischen Sinn zusammen und hat ihr geholfen, gegenüber der Gegenwartsgläubigkeit der Aufklärung die Größe des Gewesenen zu sehen. Genügt aber die Definition, wenn man feststellen muß, daß der gleiche Romantiker auch ein ruheloser Plänemacher ist; ein Utopiker, der immer wieder das Bild des vollkommenen Seins in die Zukunft entwirft?
Wir brauchen die Beispiele nicht zu häufen. Wo wir auch ansetzten, immer würde sich zeigen, daß die Definition eine Gegendefinition hervorruft, die ebenso richtig und ebenso unzulänglich ist wie jene.

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