Romano Guardini Online Konkordanz
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Nicht weniger beglückend ist das andere: Eine Menschenseele wird erhabenster innerer Erfahrungen gewürdigt; sie führt ein Leben reiner Gottesliebe und vollkommener Selbstaufopferung. Aber nicht im verborgenen Kloster, auch nicht in einem auf sich allein gestellten Dasein, sondern als Dame der Gesellschaft, die in großer, beziehungsreicher Familie steht, von mannigfachen Verpflichtungen in Anspruch genommen wird und reiche Begabungen für die verschiedensten kulturellen Gebiete hat. Mitten im Getriebe der Weltstadt, in den Sorgen für Familie und Gesellschaft, lebt sie jene tiefstem Beziehungen zu Gott. Keiner weiß davon, nicht einmal ihr eigener Gatte; aber alles, was sie tut, geschieht nicht trotz oder zum Schaden jener inneren Beziehungen, sondern wird von ihnen beseelt und geleitet.
Das führt zu einem anderen Vorzug dieses Lebens. Es ist voll außerordentlicher Gnaden, und doch seinem Geiste nach dem Außergewöhnlichen abhold. Das klingt wie Widerspruch, aber wer das Buch liest, versteht, was gemeint ist. Nach außen hin erfährt niemand etwas von dem, was hier über dreißig Jahre lang vor sich geht. Keinerlei auffallende Vorgänge. Nichts unterscheidet dieses Leben äußerlich von dem einer sehr gebildeten und frommen Frau sonst. Auch innerlich ist alles, möchte man sagen, auf seine einfachste Form gebracht; alles maßvoll, von reifer Besonnenheit gehalten.
Dieses Leben kommt ganz aus Gott und geht zu Gott; aber es hat auch das, was recht geführtes Weltleben, große eheliche Liebe und herzensweite Mütterlichkeit geben: es ist der Wirklichkeit nah. Nichts von unwissender Lebensfremdheit; nichts von jener aufreizenden Unduldsamkeit den Dingen menschlichen Daseins gegenüber, welche leicht die Folge solcher Fremdheit ist; nichts von den schiefen Wertungen dessen, der dem Dasein gegenüber unzuständig ist, weil er es nur aus Büchern und, wenn auch noch so frommen, Vorurteilen kennt. Diese Gesinnung stellt an den christlichen Willen die größten Anforderungen; sie ist aber von einer wundervollen, oft mehr in Ton

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