Romano Guardini Online Konkordanz
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aber er scheut sich, es zu tun; und ein anderer müßte sich sagen, auch die Arbeitsgenossen haben ihr Kreuz; aber er kümmert sich nicht um sie; so sind alle einander im Innern fremd und jeder für sich.
Ja, sogar in derselben Familie leben oft Vater und Mutter nebeneinander hin; jedes hat seine Last, und Gott hat sie dafür zusammengeführt, daß eins dem andern helfe, sie zu tragen. Doch der Vater kümmert sich nicht um das, was die Mutter angeht, ihm kommt ihre stille Hausarbeit nebensächlich vor, er wird ungeduldig, wenn sie von ihren Haussorgen spricht. Die Mutter hat nur Sinn für ihr Hauswesen und kein Verständnis für die Arbeit und die Gedanken ihres Mannes. Wie das so tief verletzt und die Herzen auseinanderbringt!
Kinder sehen die Eltern sich sorgen und quälen - und gehen ruhig ihre Wege, als ob ihnen die Eltern nicht das Nächste auf der Welt wären.
Eltern sehen ihre Kinder oft Wege gehen, die Leib und Seele in Gefahr bringen, aber sie sagen nichts; ja oft achten sie so wenig auf ihr eigen Fleisch und Blut, daß sie gar nicht merken, wie es mit dem Sohn, mit der aufwachsenden Tochter steht. Wahrhaftig, Gott hat die Menschen geschaffen, daß sie einander helfen; aber es sieht oft aus, als ob jeder nur für sich selbst da wäre, und an den andern geht er vorbei und kümmert sich nicht um sie.

2.
Wie könnte es doch so anders sein! Nicht daß sich jeder nun in die Angelegenheiten des andern einmischen sollte; daß jeder meinen dürfte, er müsse den andern bevormunden, er müsse jeden nach seinem Anliegen fragen oder sich in sein Vertrauen eindrängen. Das gewiß nicht. Das wäre keine Güte, sondern Zudringlichkeit. Ist doch das gerade der Anfang jeder echten Nächstenliebe, daß man vor dem andern Menschen Ehrfurcht hat und sich nicht ohne Recht in seine Sachen mischt. Aber

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