Romano Guardini Online Konkordanz
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Aus diesem Ganzen, das man ebenso ein Gefüge wie einen Strom nennen kann, wollen wir hier ein Element ins Auge fassen, das besonders wichtig ist: die Begegnung.
Es ist, wie alles Lebendige, reich an Inhalten und verwoben in seiner Struktur; so wollen wir es wieder mit Behutsamkeit herauslösen.
In seiner untersten Sinnschicht bedeutet „Begegnung“, daß ein Wirkliches mit einem anderen zusammenkomme. Was müssen es aber für Wirklichkeiten, und wie muß ihr Zusammenkommen geartet sein, damit das hervortrete, was wir mit dem Wort meinen?
Es ist offenbar noch nicht gegeben, wenn zwei Billardkugeln in Bewegung gebracht werden und zusammentreffen. Was da geschieht, sind bewirkende Stöße und ein Aufeinandertreffen bewegter Massen, das seinerseits weitergehende Bewegungen aus sich entläßt. Das Ganze vollzieht sich auf der Ebene des Mechanischen, nach den in der Physik geltenden Gesetzen. Was wir meinen, ist etwas anderes.
Wenn das Samenkorn einer Mistel in die Rinde eines Baumes fällt – ist das Begegnung? Der Vorgang enthält das Aufeinandertreffen bewegter Massen mit alledem, was damit an Beschleunigung, Wärmeentwicklung usw. gegeben ist. Darüber hinaus trifft ein Organismus auf einen anderen, und der Vorgang des Wachstums kommt in Gang. Die strukturellen und funktionellen Systeme der beiden Organismen wirken aufeinander, suchen einander in den eigenen Zusammenhang zu ziehen usw. Das Ganze läuft außer auf der physikalischen auch auf der biologischen Ebene; folgt aber auch da notwendig wirkenden Gesetzen. Es ist noch nicht Begegnung; liegt aber schon näher zu ihr hin.
Wenn ein Tier auf ein anderes Tier trifft und sich zwischen ihnen ein Kampf entwickelt – ist das Begegnung? Das Bild des Geschehens nähert sich dem Gemeinten abermals um einen Schritt. Eine lebendige Initiative trifft auf die andere, und ein für beide wichtiges, vielleicht entscheidendes Geschehen kommt

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