Romano Guardini Online Konkordanz
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auch, das lautere und gesammelte Wollen ernster Menschen - ganz abgesehen vom Geistlichen des Gebetes, von der Gnade - werde die schwebende Sache der Entscheidung näherbringen.
Das hat nichts mit okkulten Dingen zu tun - es ist aber schlimm, daß wir das Ernstnehmen dieser Dinge den Okkultisten überlassen haben. Im Alten Bund kommt ein Schrecken über den Gläubigen, wenn ein Anderer ihm flucht. Der neuzeitliche Psychologismus sagt, das sei eine Verdinglichung des Geistes; in Wahrheit ist es - ganz abgesehen von dem, was dem Bereich des Heiligen zugehört - das lebendige Bewußtsein, Geist sei Wirklichkeit. So kann es mir nicht gleichgültig sein, ob ein Anderer mir wohl oder übel will.

»Vor Gott«
Es kann sein, man sammelt sich zum Gebet. Der innere Widerwille möchte fort und sucht eine Ausflucht: »Ich muß gleich das und das tun.« Das wäre Lüge. Eine Lüge bloß in Gedanken; aber sie wäre schlimmer als eine, die einem Menschen ins Gesicht gesagt wird, denn sie geschähe vor Gott.
ja vielleicht denkt man gar nicht an Ihn, sondern lügt nur sich selbst etwas vor. Auch diese Lüge wäre schlimmer als jene, die einem Anderen ins Gesicht gesagt wird. Bei letzterer ist eine Gegenwehr möglich; Mensch steht gegen Mensch. Hier ist nur die Wahrheit, und die wehrt sich nicht. Die Wahrheit schweigt. Die Wahrheit aber ist Gott. Gott schweigt. Wenn man das richtig bedenkt, steht auf einmal die Lüge ganz nackt vor einem.


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