Romano Guardini Online Konkordanz
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gemeinsames Andachtsleben (d. soziale Beten) sagt*521. Dabei komme ich auf viel interessantes. Z.B. die Bedeutung des Gedankens für das gemeinsame Beten; das notwendige Maß in den ausgesprochenen religiösen Empfindungen und sittlichen Forderungen; die Schamhaftigkeit der religiösen Aussprache; die Stellung Christi im Gebet, der nicht Ziel, sondern »Weg« zum Vater ist; die Bedeutung von Natur und Kultur für das gemeinsame Gebet (Begriff der Barbarei) u.s.w. Da schreibe ich mir vieles vom Herzen. Ob ich freilich den Mut zur Veröffent­lichung finde, weiß ich noch nicht. Karl hat heftig Beifall genickt. Jedenfalls schicke ich Dir den Aufsatz vorher. -
Für Deinen Besuch hier muß ich Dir herzlich danken. Du hast viel Gutes getan und hast an Mutter eine gute Freundin gewonnen. Als Du fortgegangen warst, hat sie gesagt: »jetzt ist der ­einzige Mensch fort, der es in Deutschland wirklich gut mit uns meint.« Das ist ja gewiß nicht richtig, aber Du siehst daran, wie gut Dein Besuch getan hat. Du hast die schwierige seelische Lage, besonders der Mutter, verstanden, und das ist keine leichte Sache. -
Aber nun möchte ich auch, daß der Besuch Dir selber nicht zu teuer zu stehen gekommen sei. Wie geht es Dir denn - ehrlich gesagt? Lieber Josef, aus einem Brief Deines Mütterchens sehe ich, daß sie sich sehr sehr danach sehnt, Du mögest selbständig sein. Und sie meint, schon um ihretwillen mögest Du doch recht bald zugreifen, auch wenn eine Stelle vielleicht nicht in allem günstig ist. Ich füge hinzu: wenn nur die Arbeit nicht zu schwer und Haus samt Gegend gesund ist. Tu es doch, nicht wahr? Karl erzählte von einer Stelle in der Seenähe*522; wie ists damit? -
Hier lege ich Dir einen interessanten kleinen Kampfartikel der »Frkf. Ztg.« bei. Ch. ist hier der Vertreter des idealistischen Werturteils.*523 Die Kampfesart der »Frkf. Ztg.« ist ja alles andere als nobel, aber Ch. hat es herausgefordert. Und, weißt Du, es ist doch gut, daß die Leute seines Schlages nicht allein regieren, sonst gäb' es eine Götter- und Menschendämmerung. Ich sehe ihn immer klarer, diesen germanischen Zug ins Maßlos-Ungeheure, Kosmische, dieses Gehen-aufs-Ganze, aus einem seelisch-metaphysischen Drang heraus, der gar nicht fragt, obs denn

521 Die Liturgie und die psychologischen Gesetze des ge­meinsamen Betens. Ein Beitrag zur religiösen Sozialpädagogik, in: Pharus 8, 4 (1917), 241-255 (M 15).
522 In der Nähe des Bodensees.
523 Der Artikel lag nicht mehr bei, fand sich aber in der Frankfurter Zeitung vom 19.7.1916, S. 1 (s. Anhang). Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) nahm 1916 die deutsche Staatsbürgerschaft an und veröffentlichte im selben Jahr die Abhandlung Arische Weltanschauung.

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