Romano Guardini Online Konkordanz
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In diesen Tagen ist mir das Bild seines Wesens hell aufgegangen. Das bedeutet mehr, als daß nun der Abstand da war, der sehen macht. Karl Neundörfer war von einer solchen Selbstverständlichkeit des Wesens, daß der Fernerstehende ihn überhaupt nicht eigentlich bemerkte - wie es auch seine besondere Gabe gewesen ist, Arbeit und Werk so zu tun, daß sie garnicht zu Bewußtsein kamen; oft nicht einmal denen, für die sie geschahen, so sehr trugen sie die Selbstverständlichkeit des ganz rein getanen Dienstes. Ja, selbst wer ihm sehr nahe stand, mußte sich zuweilen darauf besinnen, daß dieser so ganz schlichte, aller Selbstbetonung fremde Mann wirkliche Größe in sich trug.
Das ist ein gewagtes Wort, ich weiß es, zumal wenn es so bald nachher gesprochen wird. Und dennoch ist es wahr. Vor noch nicht langer Zeit redeten wir über eine Sache, da sagte er lächelnd: "Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefürchtet. Das Gefühl kenne ich nicht." Wenn ich in unsere Studentenzeit zurückkehre, so vernehme ich den gleichen Ton. Karl Neundörfer ist durch die Philosophie Kants hindurchgegangen. Die tiefste Kraft der Kantischen Autonomie ist in ihm lebendig geworden: Daß einem Menschen von Anlage her für die mündig-freie Persönlichkeit kein Anderer Gewalt haben könne; daß nichts sie binden könne, es komme denn aus der Einsicht der eigenen Vernunft und aus der Gesetzgebung der eigenen Freiheit. Zu diesem Ethos bekennen sich Viele redend und schreibend. Soll's aber mit Recht geschehen, dann muß einer in Wahrheit sagen können, daß er von Furcht nichts wisse. Es ist jene Eigenständigkeit, die von keinem fremden Willen berührt wird, weil sie Furcht nicht kennt, die aber durch das Gesetz der eigenen Einsicht und Willensentscheidung härter gebunden wird, als durch jede gegenübertretende Gewalt.
Davon ist er ausgegangen, und den reinsten Gehalt dieses Ethos hat er immer bewahrt: die lautere Verpflichtung durch das Gesetz der Wahrheit, erkannt durch die Vernunft, angenommen in der Freiheit, besiegelt durch den Einsatz der Person mit ihrer Würde und ihrer Treue gegen sich selbst. Noch in der letzten Werkwoche zu Pfingsten auf der Burg kam das zum Ausdruck

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