Romano Guardini Online Konkordanz
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dem Jünger an, "den Er liebte". Nun ist sie geborgen. Es heißt denn auch ausdrücklich: "Von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich" - ergänzen wir: und sie lebte bei ihm. Daran denkt man und empfindet es als schön und tröstlich für sie, die so Bitteres erduldet hatte.
Nicht so leicht aber denkt man dabei an den Jünger selbst: was dieses Zusammenleben für ihn bedeutet haben möge. Man nimmt das Wort: "siehe da deine Mutter" nicht nahe, nicht lebendig genug. Durch den Liebeswillen des sterbenden Herrn und Marias Bereitschaft ist Johannes ja doch wirklich und in einzigartiger Weise der Sohn von Jesu Mutter geworden. So soll man sich das Wort mit seinem innigen Geheimnis nahekommen lassen. Fortan war er nicht nur jener, der ihr Obdach gab und Speise und Kleid, sondern er durfte zu ihr sagen: "Meine Mutter".
Was in der tiefen Nähe dieses Zusammenseins geschehen ist, wissen wir nicht; Johannes hat in seinem Evangelium nichts darüber gesagt. Es hat ja auch nicht in die Botschaft hineingehört, die sich an alle richtete, sondern war etwas, das nur Maria und ihn anging. Aber die Heilige Nacht lädt zum Sinnen ein; nicht ohne Grund ist um sie her die Welt der Legende entstanden. So wird es auch uns erlaubt sein, die Gedanken wandern zu lassen. Sie machen keinen Anspruch, im unmittelbaren Sinne zuzutreffen; aber in einem tieferen werden sie, hoffe ich, doch wahr sein.

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