Romano Guardini Online Konkordanz
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Diese Deutung soll in einer ganz unsystematischen Weise vor sich gehen; über die bestimmenden Gesichtspunkte spricht das erste Kapitel. Sie will nicht vollständig sein, sondern greift in die tägliche Wirklichkeit, wie sie gerade lebendig wurde, und sucht darin nach den Ansatzpunkten der sittlichen Selbstverwirklichung. Überall ruft sie die eigene Erfahrung des Lesers an und sucht von ihr aus zu einer Einheit des ethischen Bewußtseins vorzudringen.
Allzusehr ist die sittliche Lehre zu einer Lehre vom Verbotenen geworden; diese Überlegungen wollen die lebendige Hoheit, die Größe und Schönheit des Guten zu ihrem Recht bringen. Zu sehr wird auch die ethische Norm als etwas gesehen, das von außen her an einen rebellierenden Menschen herankommt; hier soll das Gute als das verstanden werden, dessen Verwirklichung den Menschen recht eigentlich zum Menschen macht. Der junge Glaukon wurde bei den Worten seines Meisters von einem verehrenden Entzücken erfaßt: die Absicht dieses Buches wäre erreicht, wenn der Leser empfände, daß die Erkenntnis des Guten Ursache von Freude ist. Im Jahre 1930 wurden die in der voraufgegangenen Zeit entstandenen »Briefe über Selbstbildung« zusammengefaßt und als Buch herausgegeben. Sie wendeten sich an den jungen Menschen und setzten in vielem die Atmosphäre der Jugendbewegung voraus. Die vorliegenden Meditationen wenden sich an Ältere und haben die bitteren Jahre zur Voraussetzung, die wir seitdem durchlebt haben. Ein geschichtlicher Abgrund trennt beide Versuche der Lebenslehre - dennoch gehören sie zusammen, so, wie im gleichen Menschenjugend und Reife zusammengehören.
Was das »Nachwort« angeht, so wird der Leser gut tun, nachdem er von ihm Kenntnis genommen hat, die voraufgegangenen Meditationen in seinem Licht noch einmal zu durchdenken.



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