Romano Guardini Online Konkordanz
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Das Wort redete von dem Grundgeheimnis des religiösen Lebens, wonach der Mensch zu seinem eigentlichen, von Gott gemeinten Selbst nur kommt, wenn er von sich, das heißt, von seinem unmittelbaren Ich weggeht, und sich in der Eigentlichkeit seines Selbst nur gewinnt, wenn er sich hergibt. So war die große Frage: Wo geschieht dieses Weggehen und Hergeben? Wer kann mich so rufen und mir »meine Seele« so abfordern, daß es auch wirklich geschieht? Daß ich nicht doch insgeheim bei mir bleibe und mich festhalte?
Die erste Antwort lautete: Das kann nur Gott.
Wer war aber »Gott«? Wie mußte man Ihn denken, damit Er richtig gedacht werde?
Die Einleitung dieses Buches hat vom Phänomen der Strukturierung des Denkens gesprochen. Von der Tatsache also, daß die Art des Erkenntnisweges und die Ergebnisse der Erkenntnisbemühung von psychologischen Anlagen mitbestimmt werden. Im Zusammenhang mit der religiösen Frage wird da nun etwas Beunruhigendes deutlich. Wenn nämlich Einer nur aus eigener Erfahrung und nach eigenen Maßstäben über Gott spricht, so zeigt das, was er »Gott« nennt, eine bedenkliche Ähnlichkeit mit seinem eigenen Wesen. Der Eine sieht in Ihm die erste Ursache alles Geschehens; der Andere das reine Sein; der Dritte die Idee des Guten; wieder Andere den Urgrund der Welt, oder das Geheimnis des Lebens, oder den Geist des Volkes, oder die Führung der Geschichte - und so fort, je nachdem die besondere Veranlagung des Fragenden eine Wahlverwandtschaft zu dieser oder jener Seite der Gotteswirklichkeit bewirkt, und darüber das lebendige Ganze verliert. Die Ähnlichkeit ist manchmal so groß, daß der »Gott«, zu dem die verschiedenen Menschen sich bekennen, geradezu ein Ideal- und Wunschbild der eigenen Natur ist, und man aus dem Gottesbild die Veranlagung des Menschen ablesen kann, der es denkt.
Der Weg zur Wahrheit kann also nicht der sein, bloß durch eigene Erfahrung und eigenes Denken, wie man gern sagt,

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