Romano Guardini Online Konkordanz
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heiligen Geschichte. Sein Wesen scheint darin zu bestehen, daß er überhaupt da ist: Gabe an den Glauben, Brücke über die Unmöglichkeit. Während sein stilles Leben erzählt wird, wächst neben ihm die Gestalt seiner Söhne auf, des Jakob und des Esau, die sich, voneinander tief verschieden, aber beide leidenschaflich lebend und handelnd, kräftig durchsetzen. Jakob vor allem zieht bald die Aufmerksamkeit auf sich. Er ist klug und der Liebling seiner Mutter. Wir hören, wie er mit ihr zusammen den Bruder um sein Erstgeburtsrecht bringt und bekommen so bald die schlimme Seite seines Wesens zu fühlen. Die Schrift ist redlich. Sie schildert die Großen nicht als Helden ohne Fehl und Makel, sondern in menschlicher Wahrheit. So finden sich im Bilde ihrer Auserwählten neben dem Licht dunkle Schatten. Jakob war einer, der fühlt, daß göttliches Handeln um ihn her im Gange, und er selbst hineingerufen ist. Er hatte, was wenige haben: das Bewußtsein, Geschichte zu tragen. Das, was Schicksal anzieht und zur Reife bringt. Er lebte unter Verheißung und Zuweisung. Was er faßte, ließ er nicht los; er war zäh und unermüdbar. Er fühlte die Wichtigkeit der irdischen Dinge und war doch von der Wirklichkeit des Unirdischen berührt. Von ihm muß also Großes gesagt werden - aber auch, daß er heimlich und listig war und den Trug nicht scheute. Gewiß soll man nicht zu einfach urteilen; nichts ist ja so billig wie moralische Bewertung, und nichts veranlaßt so unwillkürlich zu einem Seitenblick auf die Zuständigkeit dessen, der sie übt. So könnte man sagen, Jakob habe gefühlt, worum es ging: um den Weg der kleinen Sippe mit ihrer Verheißung durch die harte Zeit. Er habe gesehen, daß der Bruder kühn war, aber unernst; tapfer, aber leichtsinnig; ritterlich, aber ohne jene tiefere Ehre, welche weiß, worum es geht und die eigenen Launen der Verantwortung für das Anvertraute unterordnet. Die Art, wie Esau das Erstgeburtsrecht wegwirft, zeigt ja, daß ihm das Gewissen der großen Schicksals- und Geschichtsträger gefehlt hat. Darum habe Jakob ihm das aus der Hand genommen, dessen er nicht würdig gewesen sei ... So könnte man denken, und hätte damit wohl mehr

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