Romano Guardini Online Konkordanz
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lebendigen und gescheiten Menschen aus einer ordentlich gemachten Wiedergabe der Meßfeier der Hauch des Zweifels?

II.
Vor allem wurde mir wieder deutlich, wie wenig man sagen kann, Sehen sei eben Sehen – eine zwar auf verschiedene Gegenstände gerichtete, aber in sich gleichförmige Anwendung des optischen Vermögens. In Wahrheit bekommt der Akt dieses Vermögens einen immer neuen Charakter, je nach dem, auf was der Mensch blickt, und von welcher geistigen Sinnmitte aus er es tut. So fordert der rechte Vollzug des Sehvorgangs jeweils eigene Voraussetzungen, und er gelingt nicht, wenn diese nicht gegeben sind.
Wenn ich Geld zähle, blicke ich auf die Scheine und Münzen und stelle fest: fünfzig Mark. Um das Gemeinte zu sehen, ist nur gefordert, daß ich genügende Beleuchtung habe, die Sorten kenne und achtgebe ... Anders, wenn ich einen Baum betrachte und seine stille Lebendigkeit auffassen will. Die kann ich nicht in der Weise feststellen wie die Zahl der Münzen, sondern ich muß mich ihr öffnen; eine Fühligkeit muß erwachen. Gewiß, ich kann auch verfahren wie bei den Münzen; dann nämlich, wenn ich Holzhändler bin und überlege, wieviel Kubikmeter ich aus Stamm und Ästen gewinnen kann. Dann habe ich aber nicht den lebendigen Baum gesehen, sondern nur nutzbares Holz, das heißt, Material und materielle Maße – wie bei den Münzen ... Noch einmal anders wird die Situation, wenn es sich darum handelt, einen Menschen zu „sehen“. Auch hier kann ich es materialmäßig tun, etwa als Statistiker oder Verkehrspolizist. Dann habe ich aber nur ein Lebewesen in den Blick bekommen, das irgendwelche Eigenschaften hat und Wirkungen ausübt. Den lebendigen Menschen hingegen in seiner Wesensart, seinen Möglichkeiten zum Guten und zum Bösen, seiner Not und seinem Glück sehe ich erst,

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