Romano Guardini Online Konkordanz
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Kreislaufs treibt durch beide: es gibt weder ein Diesseits noch ein Jenseits, sondern die große Einheit, in der die uns übertreffenden Wesen, die ›Engel‹, zu Hause sind [...] Wir, diese Hiesigen und Heutigen, sind nicht einen Augenblick in der Zeitwelt befriedigt, noch in sie gebunden; wir gehen immerfort über und über zu den Früheren, zu unserer Herkunft und zu denen, die scheinbar nach uns kommen. In jener größesten ›offenen‹ Welt sind alle, man kann nicht sagen, ›gleichzeitig‹, denn eben der Fortfall der Zeit bedingt, daß sie alle sind. Die Vergänglichkeit stürzt überall in ein tiefes Sein [...] Nicht in ein Jenseits, dessen Schatten die Erde verfinstert, sondern in ein Ganzes, in das Ganze.“
Hier erscheint der Begriff des „Offenen“ als Charakter jener „Welt“, die in den Elegien als Ergebnis des vom Menschen geforderten existentiellen Verhaltens verkündet wird. *3
So weit scheint der Gedanke von theoretischer Art zu sein. Es wird aber durch eine eigentümliche Erfahrung beleuchtet, von welcher die „Abschrift aus dem Taschenbuch an Lou Andreas-Salomé“ berichtet *4 : „Später meinte er sich gewisser Momente zu erinnern, in denen die Kraft dieses einen *5 schon, wie im Samen, enthalten war. Er gedachte der Stunde in jenem anderen südlichen Garten (Capri), da ein Vogelruf draußen und in seinem Innern übereinstimmend da war, indem er sich gewissermaßen an der Grenze des Körpers nicht brach, [sondern] beides zu einem ununterbrochenen Raum zusammennahm, in welchem, geheimnisvoll geschützt, nur eine einzige Stelle reinsten, tiefsten Bewußtseins blieb. Damals schloß er die Augen, um in einer so großmütigen Erfahrung durch den Kontur seines Leibes nicht beirrt zu sein, und es ging das Unendliche von allen Seiten so vertraulich in ihn über, daß er glauben durfte, das leichte Aufruhn der inzwischen eingetretenen Sterne in seiner Brust zu fühlen [...] Noch wußte er nicht, wie weit den Anderen seine Abgeschiedenheit zum Eindruck kam. Was ihn
*3 Dazu besonders die folgende neunte Elegie.

*4 Br M 310ff.

*5 Wohl zu ergänzen: „Momentes“.

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