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Oder im Innern eines Menschen wirkt ein Groll gegen das Leben. Er meint, ihm sei Unrecht geschehen, seine Erwartung sei enttäuscht, seinem Anspruch sei die Erfüllung versagt worden. Es ist vielleicht wirklich so, und er müßte aus dem Noch-Möglichen das Beste zu machen suchen; er kommt aber über das Unrechtsgefühl nicht hinweg, und nun rächt er sich. »Alle sind sie SO«, sagt er, weil der Eine so gewesen ist; »es gibt keine Gerechtigkeit«, weil er meint, für sich keine gefunden zu haben ... Güte verzeiht, weil sie großmütig ist und den Anderen freigibt; weil sie Vertrauen hat, und das Leben immerfort neu anfangen läßt. Viel Ungüte kommt aus dem Neid. Mancher ist arm und sieht den Anderen reich ausgestattet. In irgend einer Hinsicht spürt jeder, daß Andere haben, was er entbehrt. Wenn er damit nicht fertig wird, sich verbittern läßt, dem Anderen mißgönnt, was er hat, dann vergiftet sich das zu einer Feindschaft gegen das Leben. Güte kann von sich absehen, kann Anderen gönnen, was sie selbst entbehrt - vielleicht sich sogar mit ihnen freuen ... So könnte man noch manches sagen. Güte bedeutet, daß Einer es mit dem Leben gut meint. Wo immer ihm Lebendiges begegnet, ist seine erste Regung nicht die, daß er mißtraut und kritisiert, sondern achtet, gelten läßt, zum Wachsen hilft. Wie sehr bedarf das Leben solcher Gesinnung - dieses Menschenleben, das so sehr verletzlich ist! In der Güte ist aber auch Kraft. Je reiner sie ist, desto mehr, und die vollkommene Güte ist unerschöpflich. Das Leben ist voll Leid; wenn Einer es mit ihm gut meint, kommt das Leid zu ihm und will gefühlt sein; das aber strengt an. Es will verstanden sein; das aber macht müde. Es verlangt Hilfe; wirkliches Helfen gelingt aber nur dem, der versteht, und zwar gerade dieses Leid; der die Worte findet, die hier nötig sind, und sieht, was geschehen muß, damit es gelindert werde. Wehe der Güte, wenn sie es zwar gut meint, aber schwach ist. Ihr kann es geschehen, daß sie an ihrem eigenen | ||
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