Romano Guardini Online Konkordanz
Treffernummer:

 < Seite 96> 


Dieser ganze Vorgang - er ist eine konkrete Einheit, und nur mit einer gewissen Gewalt konnte er in die genannten Elemente aufgelöst werden - hat einen wesentlichen Charakter, der durch zwei Momente bestimmt wird: die Freiheit und das Unabänderliche.
Der bildende Akt - ob er nun auf einen Anderen gerichtet ist oder auf das eigene Selbst - geht aus Freiheit hervor und will Freiheit schaffen. Dadurch unterscheidet sich die Bildung des Menschen von dem Vorgang der Gestaltverwirklichung, wie er sich im wachsenden Baum, im heranreifenden Tier vollzieht. Diese Freiheit aber erhält ihren Ort, erhält Ausgangspunkt, Ziel und Sicherheit durch das Unabänderliche.
Das Unabänderliche sind all jene Momente, die für den heranwachsenden Menschen wie für seinen Bildner gegeben sind; die der Mensch nicht ändern kann; ja, die er, wenn anders er sich selbst und die Ordnung der Dinge versteht, gar nicht kann ändern wollen. Dahin gehören einmal die Notwendigkeiten; Ideen, Werte, Gesetze; angefangen von den höchsten, geistigsten bis zu den untersten, stofflichen. Wenn der Bildungsvorgang wahr, echt sein soll, dann muß er sich in ihnen bewegen. Dahin gehören ferner die Tatsachen. Ein Gesetz kann nicht anders sein, als es ist. Eine Tatsache könnte sehr wohl anders sein. Die Formel des Fallgesetzes kann nie anders lauten, als sie lautet. Daß aber jetzt dieser bestimmte Ziegelstein von mir aufgehoben und fallen gelassen wird, muß nicht sein. Es kann ganz unterbleiben. Geschieht es, so stehen unbegrenzte Möglichkeiten offen, nach welcher Richtung es geschieht; mit welcher Intensität usf. Ist es aber geschehen, dann ist die Tatsache unauslöschbar wirklich. Aus Notwendigkeiten und aus Tatsachen webt sich die Ebene des Unabänderlichen zusammen; jene Ebene, auf der wir stehen, auf der wir wachsen, auf der wir unser Schicksal bereiten. Sie ist auch die Ebene des Bildungsvorganges, und seinsgerechte Pädagogik hat zu wissen, was es für wirkliche, nicht phantastische Bildungsarbeit bedeutet, die gegebene Unabänderlichkeit zu sehen und ihr gerecht zu werden.

 < Seite 96>