Romano Guardini Online Konkordanz
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die Gassen der Stadt. Sich vertiefen darin und langsam tun. Und geht es nicht in einer Viertelstunde, so braucht es eben eine halbe. Das wichtigste Wort in der Kreuzwegandacht, wißt ihr, welches das ist? "Betrachte." Wirklich betrachten, sonst bleibt der Kreuzweg stumm und sagt dir nichts.
Und das zweite: Man muß sein Leben in den Kreuzweg hineintragen. Die Erfahrungen, die man gemacht, den Kummer, den man zu tragen hat, das Leid, das einen quält, - das nimm mit, und stelle es neben den Heiland. Im Licht der vierzehn Geheimnisse denke darüber nach, und du wirst die Erfahrung machen: Auf einmal, bei irgendeiner Station, wird irgend etwas klarer, irgendein guter Gedanke, ein Trost, ein guter Entschluß wird dir geschenkt. Und du wirst aus dem Kreuzweg nicht leicht unbelehrt und ungestärkt heimgehen.
Legen wir einmal dem Kreuzweg heute eine Frage vor. Eine, die sehr, sehr viele von uns immer wieder beschäftigt.
Wenn es je eine Zeit gab, die erfahren mußte, wie schwer das Erbe der Ureltern auf uns lastet, dann ist es unsere. Daß das Weib in Schmerzen und der Mann in schwerer Plage sein Leben verbringt, das muß unsere Zeit bitter fühlen. Und wenn eins die Menschen drückt, dann ist es die Frage, wie sie fertig werden soll mit all dem Leid.

2.
Da kommt schon gleich eine Klage: "Was ich zu tragen habe, das ist zu schwer für mich. Ich kann's nicht mehr aushalten."
Was sagt da wohl der Kreuzweg dazu! Sieh', gleich die dritte Station zeigt uns den Herrn, wie er unter dem Kreuze niederfällt. Und dann wieder die siebte und noch einmal die neunte. Was bedeutet das? Es heißt: Das Kreuz war für seine Schultern zu schwer.
Wir können das ja auch gut verstehen, nicht? Am Abend vorher war er zum Ölgarten gegangen. Da hatte er den bitterschweren Seelenkampf durchgerungen, die Todesangst hatte ihn

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