Romano Guardini Online Konkordanz
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unsere Sendung sei in partibus infidelium*708. Ich weiß, daß Du ebenso denkst, wenn ich sage, dabei dächten wir gar nicht ans Bekehren, sondern »mit ihnen leben« - was draus kommt, weiß und führt Gott, incrementum dat*709.
In Holland wars schön.*710 Mir ist die Welt um ein Stück weiter geworden. Vor der Organisation des katholischen Lebens da drunten, die als Meisterstück gepriesen wird, bewahr uns Gott! Mir hats den Atem versetzt. Aber ich habe das Meer gesehen, o, die Weite! Das starke Wehen, und das große Brausen, und die weiten, weiten Züge der Wogen! Rembrandts Nachtwache hab ich gesehen, und die Staalmeesters.*711 Und zwei, drei Menschen, aus denen mir etwas Elementares entgegensprach. Auch einen Hauch der »großen Welt«, darin wir Deutsche, - ich rechne mich von Herzen dazu - so unbeholfen stehen. Das ists; noch einiges andere vielleicht dazu: die schönen holländischen Häuser und der Rotterdamer Hafen, wo ich zum ersten Mal den Atem des Weltverkehrs spürte. Nymwegen, Rotterdam, Delft, Den Haag, Scheveningen, Amsterdam, Utrecht, Nymwegen.
Auch wie arm wir sind, und wie hungrig es bei uns ist*712, hab ich dort erst richtig gesehen. Es ist ein bischen durcheinander, was ich Dir erzähle, aber es ging auch viel durcheinander in den wenigen Tagen.
Michel*713 - glaub' wohl, daß es ein feiner Mensch ist. Ich habe ihn noch nie sprechen können, und jetzt auf Ostern wird wahrscheinlich
708 »Im Land der Ungläubigen«: Diese altkirchliche Formel wurde dem Namen eines Titular-Bischofssitzes (der also in Wirklichkeit nicht eingenommen werden konnte, da die Christen schon daraus vertrieben waren) hinzugefügt; die Sitte wurde jedoch 1882 abgeschafft.
709 1 Kor 3, 7: »(Einer ist's, der pflanzt, ein anderer bewässert; Gott aber) gibt das Wachstum.«
710 Über Grund und Dauer dieser Reise ist nichts bekannt. In den folgenden Briefen werden Ausflüge und kleine Reisen zu heilklimatischen Zwecken an die Ostsee erwähnt; Guardini litt in dieser Zeit an »Atemnot« bzw. Asthma. Im Juni 1927 weilte er in Noordwijk an Zee in der Villa Kempner; vgl. Br. 97.
711 Rembrandt Harmensz von Rijn (15.7.16, Leiden, bis 4.10.1669, Amsterdam), bedeutendster Maler des »goldenen« niederländischen 17. Jahrhunderts; die »Nachtwache« (1642) und die »Staalmeesters« (1662) hängen im Rijksmuseum Amsterdam. - Guardini schrieb - wohl als Nachwirkung der holländischen Reise - zwei Artikel: »Rembrands lächelndes Altersbildnis«, in: SchG 5 (1924), 97-100 (M 160); und: »Der Segen Jacobs von Rembrandt. Ein Brief«, in: SchG 10 (1930), 333f. (M 314). Das letztere Gemälde hängt in Kassel.
712 1922 war das Jahr eines zunehmenden Währungszerfalls in Deutschland.
713 Vgl. Br. 84. Michels Beziehung zu Guardini war ambivalent. Vgl. Michels Brief vom 27.3.1923 an Eugen Rosenstock-Huessy: »Der kleine Kreis von Katholiken, dem ich den Aufsatz vorlas, hörte mit gesträubtem Haare, aber mit innerster Zustimmung zu. (...) Nur Guardini widerriet aus opportunistischen Gründen die Veröffentlichung, da auch die Theologen ob der ungewöhnlichen Sprache mich durchgehend mißverstehen und einen Sturm entfesseln würden. Als ob ich das nicht vorher gewußt hätte! Wir waren uns alle einig, daß die Glaubens-Erschütterung, in die wir hineingerissen sind, die Seins-Ordnung einschmelzen wird. (?) Guardini kämpft am hartnäckigsten um seine römische Erbanlage und schlägt, um sie zu retten, 1000 Brücken von der ?Seele? zur ?objektiven Ordnung?.« (Eugen Rosenstock-Huessy-Archiv, Bethel.) Auch später hielt er Joseph Bernharts Ansichten - wie diejenigen Guardinis - für »immer noch zu sehr einer kirchlichen Katholizität verhaftet« (Brief von Rieck an Michel vom 11.3.1944). - Helmut Zenz sei für seine umfangreichen Recherchen zu Michel gedankt!

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