Romano Guardini Online Konkordanz
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Was Du über Wunder und Zeichen sagst, leuchtet mir vollkommen ein.*1056 Die Erörterungen über das Wunder wären weniger fruchtbar, als sie es sind, wenn man die Dinge so sähe. Es ist der Fluch der neuzeitlich=theologischen, im Grunde rationalistischen Betrachtungsweise gewesen, alle Fragen auf einen zwar logisch faßbaren, aber einseitigen und im letzten unlebendigen Punkt hinzudrängen. So hat man das Wunder daraufhin definiert, daß es eine »Durchbrechung der Naturgesetze« sei. Dabei ist das lebendige Gesamtphänomen mit seiner religiösen Tiefe verloren gegangen, und es ist auf eine Art Machtprobe Gottes der Welt - und der »Wissenschaft«! - gegenüber hinausgelaufen. Ja mir scheint, sogar mit der Logik ist die Sache nicht in Ordnung. Denn was heißt das eigentlich: Durchbrechung der Naturgesetze? Werden sie denn wirklich »durchbrochen«? Liegt nicht ein Begriff von der Welt zu Grunde, der diese als ein starres, mechanisches System nimmt, in welchem alles in bestimmter Weise laufen muß, so daß ein Hineinhandeln Gottes notwendig den Charakter der Durchbrechung annimmt? Sind aber nicht in Wahrheit die Naturgesetze formale Prinzipien, die soviel leisten, als eine Macht imstande ist, von ihnen zu verlangen? Ist die Welt nicht in Wahrheit ein elastisches System, das jeden neuen Impuls aufzunehmen vermag? Liegt sie nicht ganz und gar in Gottes Hand, als Werkzeug seines Willens, welcher Wille in verschiedener Weise wirksam wird, in der Regel durch die zur Welt gehörigen Wirkmächte, dann aber auch durch ein unmittelbares Hineinwirken seines, das Reich Gottes heraufführenden Tuns? Und ist das Maß dieses Tuns nicht vollkommen unabsehbar, sobald man die glaubende Innerlichkeit als Eintrittsstelle dieses Tuns versteht? Mir scheint, es ist höchste Zeit, daß sowohl die Welt wie das Verhältnis Gottes zur Welt richtiger verstanden wird. Ganz abgesehen davon, daß die Heilige Schrift von einem in sich abgeschlossenen System von Naturgesetzen, in das Gott nur auf dem Wege der Durchbrechung hineinwirken kann, gar nichts weiß. Das biblische Bild von der Welt und dem Verhältnis Gottes zur Welt ist doch ein ganz anderes. Du selbst hast mich darauf hingewiesen. Und es könnte sein, daß das Weltbild, wie es sich aus den neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen ergibt, für die ursprüngliche biblische Deutung sehr viel offener wäre, als das der klassischen Physik. (Allerdings werden dafür andere Schwierigkeiten entstehen.)
Hier geht ein Tag um den anderen seinen Weg, und jeder bringt seine Schwierigkeiten. i)

1056 Vgl. Guardinis früheren Aufsatz: Das Wunder und das Bild vom Menschen und von der Welt, in: SchG 13 (1933), 1-15 (M 398).

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