Romano Guardini Online Konkordanz
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und möchte nun seine Sache rund und fertig machen. Gebe Gott, daß wir es dürfen, jeder von uns. Aber richtiger heißt es doch wohl: wir beide unser Gemeinsames; denn seit langem weiß ja doch keiner von uns, was an seinen Gedanken ihm oder dem anderen gehört. Ists nicht so? Und hier gehört auch noch Karl dazu; denn das Seinige ist auch darin. Als ich heute alte Briefe durchsah, fielen mir aus einem Konvolut zwei Edelweiß entgegen. Ich habe sie vor zehn Jahren aus dem Strauß genommen, der in dem weißen Kapellchen am Eingang zum Fextal, wo er aufgebahrt lag, zu seinen Häupten stand.*1027 Es wäre schön, wenn er bei uns wäre. Nie habe ich das Gefühl gehabt, daß die Lücke geschlossen worden sei. Was er geschaffen hätte, fühle ich heute noch als wichtig, und als nicht geschaffen. Und er fehlt mir - sicher auch Dir - heute noch an der gleichen genauen Stelle. Ists nicht so?
Wir wollen uns des Guten versichern, liebster Freund, das wir haben. Wir dürfen sagen, daß wir in einigen wichtigen Punkten Bescheid wissen, und daß, was vor dreißig Jahren grundgelegt worden ist, weder widerlegt, noch müde geworden ist. Ich frage mich, ob das Überheblichkeit ist, oder Erstarrung - aber ich fühle mich offener und freier als soviele Junge und Jüngste, die ich kenne. Es wird aber wohl sein, daß das, was wir damals grundgelegt, in Wahrheit eine Ordnung und zugleich Bewegung des Geistes war, keine Doktrin. Ein Leben, kein Prinzip.
Nun bin ich glücklich ins Philosophieren gekommen; verzeih. Kehren wir ad rem zurück. Wenn Du wiederkommst - hoffentlich zufrieden mit den geistlichen Tagen - dann gibt Dir Mina einen Spazierstock, Gertas*1028 und mein Geschenk. Ich habe das Problem besagten Stockes eifrig bedacht, theoretisch und experimentell erforscht, und bin zu diesem Ergebnis gekommen, nämlich alles Gewicht in das Holz, nicht in die Dekoration zu legen. Hoffentlich macht er Dir Freude. Die sechs Flaschen Rotwein aber nimm als Gabe von Haus zu Haus. Es ist alter reiner Piemonteser, Barolo; habe ihn selbst schon über 2 Jahre im Hause und er war nicht jung, als er kam. Trink ihn selber, ja? Er wird Dir sicher nur gut tun.
Und so Gott will, sehen wir uns im Oktober, und feiern dann zusammen unsere drei Jubiläen*1029, Deins, Karls und meines - zusammen mit Mina, nicht?
Eins der beiden Edelweiß lege ich Dir bei. Gott mit Dir, lieber Josef!
Romano.


1027 Karl Neundörfer war am 13. August 1926 im Fexgletscher tödlich abgestürzt.
1028 Gerta Krabbel.
1029 Guardini und Neundörfer waren am 28. Mai 1910 in Mainz zum Priester geweiht worden.

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