Romano Guardini Online Konkordanz
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feine Ruhe. Die Leute meist über dem Durchschnitt, wenigstens nach Ausdruck und Haltung zu schließen. Es schien eine gewisse Elite von jungen Männern und Mädchen; aber auch ältere, Männer und Frauen waren da, und sehr feine Köpfe darunter. Förster selbst begann pünktlich, ging rasch und schlicht zum Podium und begann ohne alle Einleitung und alle Umstände. Er ist mittelgroß, schmal gebaut mit hoher Stirn, zurückgestrichenem ziemlich kurzem Haar, kurzgeschnit­tenem blondem Bart; ganz einfach gekleidet, dunkel, ohne Schmuck, Kette u.s.w., aber elegant fast. Er spricht norddeutsch, aber ohne Jargon, genau und mit wenigen Gesten. Sein Gesicht und seine Haltung ganz be­herrscht, in den Augen ein gewisses überlegenes, ruhiges Beobachten. Erst sprach er in mehr theoretischen Ausführungen eine Stunde, machte dann eine Pause von 5 Min, wobei er ruhig und ohne aufzuschauen am Pult blieb, und dann weitere 20 Min in praktischer Weise.
Während der ganzen Zeit bliebs lautlos im Saal, auch in der Pause nur leises Flüstern. Dabei spricht er nicht laut, nur mit vollkommener Ruhe und Disziplin. Er macht keine Konzession an Stimmung, Effekt oder Sensation, moduliert den Ton fast gar nicht, spricht in gleichmäßigen ruhigen Sätzen. Wenn ich meinen Eindruck von ihm zusammenfassen soll, so kommt er mir vor wie ein Mensch von sehr feinem Empfinden, sehr differenzierter Fähigkeit des Beobachtens und Verstehens, der es versteht, alles unter einige zentrale Gedanken zu stellen; ein Mensch von durchaus nicht genialen Kräften, aber der alles, was er ist und kann, durch eine vollendete Disziplin in seine Gewalt und auf eine hohe reife Entwicklung gebracht hat.
Was ihm zu fehlen scheint, ist ein gewisses Maß ganz klarer, scharfer Denkform; dann vor allem Leidenschaft. Hat er sie, dann ist sie ganz zu einer vollkommenen kühlen Ruhe gebändigt und macht sich nicht bemerkbar. Jedoch hat man den Eindruck eines tiefernsten Menschen, dem man mit Ehrfurcht zuzuhören hat.
(Jemand, der ihn persönlich kennt, erzählte mir, daß er an dem Abend schlecht disponiert war. Daher vielleicht auch der Eindruck des Kühlen.)
26. II.
In diesen Tagen haben mich stark einige Gedanken beschäftigt, die Dich vielleicht auch interessieren. Mir scheint, daß in jedem Menschen, der etwas in sich hat, zwei Reihen von Erfahrungen eintreten. Die erste, daß er sich entdeckt, seine Eigenart, seine Probleme und Gesichtspunkte, seine Fragen, kurz, sich, und sein Neues. Das isoliert ihn zunächst, läßt ihn in Gegensatz treten zum Hergebrachten, zu den Anderen, zu Einrichtungen und Gedanken, die er vorfindet.

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