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nichts anderes, als den Zusammenhang und Gegensatz von Begriff und Wirklichkeit. Das unbedenkliche Zugreifen in Dingen des Geistes und Gewissens, wie früher, ist mir jetzt nicht mehr möglich. Zuhören, Verstehen, leise und behutsam helfen, das ist mir jetzt wichtiger. Und noch etwas. Das Erbe meiner lieben Mutter wird, scheint mir, in mir wach. Eine gewisse Skepsis (erinnerst Du Dich meiner Bemerkung über Benedikt XV.?*466) und Sprödigkeit in Dingen der Religion. Fast möcht' ichs Widerstreben vor zu unverhüllter Religionsäußerung nennen, dort, wo ich des betreffenden Menschen nicht sicher bin. Die indirekte Religiosität wird mir lieber, als die direkte; jene, die sich »malgré elle«*467, als Gesinnungsausdruck, als Beseelung der an sich nicht unmittelbar religiösen Handlungen kundtut, wie ichs an meiner Mutter sehe. Und wenn mir eines manchmal meinen Beruf fernrückt, so ist es die Notwendigkeit, mich von Amts wegen beständig mit direkter Religion beschäftigen zu müssen. Siehst Du, nun kommen diese Gegensätze zu den früheren, und da kannst Du Dir denken, welche Risse und Schwankungen das geben muß. Allein ich habe doch, denke ich, eine gewisse lebendige Logik der Entwicklung in mir, die die Ordnung herstellen wird. - Für Deinen Brief dankt Mutter Dir herzlich. Ebenso Dir und Deinem Mütterchen für Eure gute Einladung. Ich habe es D. M. bereits geschrieben, daß vorläufig kaum etwas daraus werden wird. Vater ist immer noch (jetzt 4 1/2 Wochen) weg; z. Zt. in der Schweiz, und wartet auf die Entscheidung. Mutter rüstet dieweile das Haus, von oben bis unten, zu seinem Empfang oder zur Abreise. Sie ist wie Dein Mütterchen. Sie überwindet das Leid durch Arbeit. Eins war besonders bitter für sie in diesen Tagen, daß sich von allen, denen sie gut war und Gutes getan, fast niemand um sie gekümmert hat. Als ob die Menschen kein Gespür dafür hätten. Du kannst Dir denken, wie gut ihr Dein lieber Brief*468 getan hat. Da hat sie wieder einmal recht weinen können. - Heute morgen dachte ich daran, Du könntest Deinem Mütterchen etwas schönes schenken. Willst Du ihr nicht die Didache oder die Ignatiusbriefe übersetzen?*469 Ich suche schon lang nach einer Übers. der 466 Vgl. Br. 55 467 trotzdem. 468 Zu Guardinis Bitte um einen Brief vgl. Br. 56. 469 Didache = »Lehre der zwölf Apostel«, frühchristliche Schrift (ca. 150-180 oder 100-120) vermutlich aus Syrien, die wohl früheste Kirchenordnung der Christenheit, auch mit liturgischen Anweisungen. - Ignatius von Antiochien (? um 110-17), Bischof, wird zu den Apostolischen Vätern gerechnet; schrieb von Smyrna und Troas aus sieben als echt anerkannte Gemeinde-Briefe: eine wichtige Quelle für Kirchen- und Dogmengeschichte. | ||
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