Romano Guardini Online Konkordanz
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Wille zur Macht oder Wille zur Wahrheit?
Zur Frage der Universität
[1965]

I.
Bevor ich mit meinen eigentlichen Fragen beginne, erlauben Sie mir eine kurze Klärung der Position, in der ich mich Ihnen gegenüber befinde. Ich hoffe, sie wird nicht den Eindruck irgendwelchen persönlichen Sichernstnehmens machen, sondern der Sache dienen. So möchte ich auf Folgendes hinweisen: Wenn ich die verschiedenen Semester, die ich, in verschiedenen Fakultäten mich umsehend, verlebt habe, und dann die Zeit meiner eigenen Lehrtätigkeit, die in Berlin begann und hier zu Ende ging, zusammennehme, sind das rund sechzig Jahre. Diese Zeit beginnt 1903, also vor dem ersten Krieg, als das alte – relativ alte – Deutschland noch bestand; ging durch den ersten Krieg, umfaßte die so viel geschmähte und zugleich doch so fruchtbare und lebendige Zeit zwischen 1918 und 1933, ging dann durch die zwölf Jahre der Zerstörung, erlebte die von so großen Hoffnungen erfüllte erste Zeit nach 1945 und erlebte dann unsere Gegenwart mit ihrem Übermaß an Problemen jeder Art.
Warum sage ich das? Damit deutlich wird, daß das Folgende nicht etwa aus einer knapp umrissenen geschichtlichen und kulturellen Situation heraus gesagt ist, sondern daß hinter ihm die Erfahrungen von geschichtlichen Veränderungen, um nicht zu sagen Katastrophen, Zerstörungen und neuen Anfängen liegen, die jeden Gedanken in sehr harter Weise daraufhin prüfen, ob er ehrlich und wirklichkeitsgerecht ist.
Ich werde die schöne sowohl wie schwierige Aufgabe haben, von letzten philosophischen Sinngebungen zu sprechen, die

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