Romano Guardini Online Konkordanz
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4.4.1945
Aus einem Brief:
... Sie fragen: »Wie kann die Welt, wenn der göttliche und menschliche freie Wille gewahrt bleiben soll, als göttliche Idee ewig sein? Es muß dann doch alles verwirklicht werden ... also auch die Sünde.« ... Zunächst wäre zu antworten, daß die »ewige Idee« der Welt nur ihr Wesen, ihre gute Ordnung, ihre dem Willen Gottes entsprechende Entwicklung, nicht aber die Sünde, das Böse und die Zerstörung in sich schloß. Die sind aus dem freien Willen des Menschen entsprungen ... Damit wäre die Frage aber nur zurückgeschoben, denn Sie werden antworten: Wie kann Böses und aus dem Bösen kommende Zerstörung sein, wenn Gott das Gute will? Darauf wäre zu antworten: Weil Gott die Freiheit als Gipfel der Schöpfung will; die aber bedeutet in der Zeit die Möglichkeit, zwischen dem Guten und dem Bösen zu wählen ... So würden Sie die Frage an ihrer Wurzel stellen: Wie kann endliche Freiheit sein, wenn die göttliche Erkenntnis alles weiß und der göttliche Wille alles durchwaltet?
Bei der Erörterung dieser Frage wird oft ein Fehler gemacht: Man sucht den Gesamtzusammenhang, um den es sich da handelt, nämlich die Welt und den Menschen in ihr vor Gott, mit einem Wort das Dasein, auf ein einziges Prinzip zu bringen. Das zu tun, übersteigt aber unsere Möglichkeiten.
Die Heilige Schrift redet hier sehr unbefangen. Sie spricht einmal Sätze aus wie: »Vorgelegt habe ich Euch Leben und Tod, Segen und Fluch. So wähle denn das Leben« (Dtn 30,19); oder aus dem Munde Jesu: »Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder um mich sammeln wollen ... ihr aber habt nicht gewollt« (Mt 23,37). Damit wird ohne den Schatten eines Zweifels gesagt: Der Mensch ist in seiner Entscheidung frei; er kann handeln, wie er will, und danach gestaltet sich sein Schicksal. – Dieselbe Heilige Schrift enthält aber auch Sätze wie: »Ich bin gnädig, dem ich gnädig bin, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich« (Röm 9,15). Oder das Wort Jesu: »Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen, ...

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