Romano Guardini Online Konkordanz
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Die beiden Strebungen scheinen einander aufs schärfste zu widersprechen; trotzdem kommen sie aus der gleichen Wurzel. Der Mensch ist kein Wesen wie die anderen; man muß alle Sinne verschließen, um von dieser Tatsache nicht überwältigt zu werden. Ihm ist in einer erschreckenden Weise das Ganze des Daseins in die Hand gegeben, dadurch, daß er sich selber in die Hand gegeben ist. Diese Sonderstellung gründet aber in seinem Verhältnis zu Gott. Der Mensch existiert nicht aus sich, sondern von Gott her und auf Gott hin. Und nicht so, daß es seinem Belieben anheimgestellt wäre, diese Beziehung zu verwirklichen, er aber, abgesehen davon, ob und wie er es tut, einfachhin Mensch bliebe, sondern die Beziehung ist wesenhaft. Sein Menschsein besteht letztlich in ihr; und die Entscheidung, die er ihr gegenüber fällt, fällt er seinem Menschsein gegenüber. So viel er Gott aufgibt, verliert er sich selbst. So viel er sich gegen Gott empört, wird er uneins mit sich. So viel er Gott aus den Augen verliert, entsinkt ihm das Wissen um sein eigenes Sein. Wenn er sich also mit selbstmörderischer Sucht bemüht, in den Zusammenhängen der Natur aufzugehen, dann bildet das nur die andere Seite jenes gleichen Verhaltens, dessen erste im Willen besteht, Gott wegzutun und autonomer Herr über Selbst und Welt zu sein.
Dem heutigen Menschen graut vor ihm selber. Und durchaus nicht so, wie es Mephisto im „Faust“ meint, daß ihm „vor seiner Gottähnlichkeit bange würde“; mehr oder weniger bewußt graut ihm vor einem Menschentum, das nicht mehr in der Ebenbildlichkeit zu Gott und in der Verpflichtung Ihm gegenüber lebt, sondern sich ein Bild aus eigenem Recht setzt. Denn er merkt, daß er sich dabei entgleitet; daß er in ein Chaos gerät, dessen Schrecken größer sind, als jene, denen die Urzeit ausgeliefert war.
Der Mensch hat sich selbst verloren und sucht nach sich. Er sucht seine Würde; die wird er aber nur finden, wenn er vorher die Hoheit Gottes gefunden und sich zum Gehorsam gegen sie entschlossen hat. Er sucht die so gespenstisch zergangene Fülle und Einheit des eigenen Seins; die wird er aber nur finden,

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