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Gottes Geduld I. Wenn wir von Gott sprechen, sprechen wir meistens über seine Eigenschaften: daß Er heilig ist, gut und gerecht, allmächtig und allwissend. Mit den Eigenschaften Gottes hat es aber eine besondere Bewandtnis. Die eines Menschen sind mit ihrem Träger mehr oder weniger eng verbunden, doch nie so, daß dieser mit ihnen eins wäre. Er kann sie verlieren, und doch er selbst bleiben. Er kann etwa vertrauend und offen sein, dann aber durch allerlei Enttäuschungen mißtrauisch und verschlossen werden: dennoch bleibt er er-selbst. Das macht ja das Leben so schwer, daß man wohl anders werden kann, aber kein Anderer, und in der Veränderung ausharren muß. Bei Gott ist es nicht so. Wenn man ihm seine Gerechtigkeit nehmen könnte, würde nicht ein ungerechter Gott übrig bleiben, sondern überhaupt keiner. Der Mensch hat seine Eigenschaften nur; Gott ist sie. Seine Eigenschaften sind sein lebendiges Sein selbst. In jeder offenbart er sich unter einer anderen Rücksicht, und letztlich sind sie alle Eines. Dieses Eine freilich vermögen wir nicht zu verstehen, sondern ahnen es nur. Es müßte etwas Großes sein, einsehen zu können, daß Gottes Gerechtigkeit lautere Güte ist; das hieße aber begreifen, wie die Fülle der Gotteswerte rein und unvermischt in der Einfachheit seines Wesens besteht. Aus diesen Eigenschaften Gottes wollen wir über eine nachdenken, die man nicht häufig nennen hört, nämlich seine Geduld. Doch meldet sich gleich ein Einspruch: kann man überhaupt bei Gott von Geduld reden? Ist er nicht die Größe und Herrlichkeit selbst – Geduld hingegen etwas Kleines und Kärgliches, die Tugend des kümmerlichen Daseins? Denken wir an den Ausbruch Faustens: »Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem | ||
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