Romano Guardini Online Konkordanz
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Höflichkeit

Im zwölften Kapitel seines Briefes an die Römer schreibt Paulus von der Gemeinschaft der Erlösten unter einander und sagt große Dinge von ihr. Er spricht von den geheimnisvollen Kräften, welche die Gemeinden der ersten Zeit durchwirkten, den Charismen, und sagt Worte wie diese: »Seid brennend im Geiste« - ein Satz, der dem Leser zu Bewußtsein bringt, zu wie Großem er berufen, und wie kümmerlich es in Wirklichkeit mit ihm bestellt ist. Mitten unter diesen hohen Worten steht aber ein einfaches: »Kommet einander in Ehrerbietung zuvor.« Nicht nur: Ehret einander, sondern: Kommet im Ehren einander zuvor. Vielleicht dürfen wir den Satz in etwas alltäglicherem Ton so wiedergeben: Seid gegen einander höflich. Nun könnte man fragen, wie denn Paulus, der so mächtige Dinge zu sagen hatte, sich um Derartiges kümmern konnte? Er hat aber gewußt, daß im Dasein alles zusammenhängt, das Außerordentliche und das Alltägliche, die Glut des Geistes und die Umgangsform, welche aus der Achtung vor dem anderen Menschen hervorgeht. Hat doch zum Beispiel er, der das Mysterium des »mystischen Leibes Christi« verkündete, auch an die Gemeinde in Philippi geschrieben, Evodia und Syntyche sollten das Streiten lassen. Das aber waren zwei Frauen, die im gleichen Gemeindedienst tätig waren, jedoch miteinander - wie das auch heute noch vorkommen soll - offenbar gar nicht auskamen.
Von solchen Dingen findet sich in den Briefen des Apostels noch mancherlei. Wenn er Zeit fand, unter den großen Gegenständen auch über so Alltägliches zu sprechen, wollen wir sie uns ebenfalls nehmen.
In diesen Meditationen war von hohen Tugenden die Rede: der Gerechtigkeit, der Wahrheitsliebe, der Selbstlosigkeit und noch manchem der Art - aber auch die Höflichkeit ist

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